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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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deiner Mutter?», fragt Henry.
    Ich kann nicht glauben, dass er sich daran erinnert! Der Henry, mit dem ich verheiratet war, war nicht annähernd so aufmerksam.
    «Oh, ich kann nicht glauben, dass du dich daran erinnerst!», sage ich laut.
    «Natürlich!» Er stützt das Kinn in die Hände, als sei es die normalste Sache der Welt, sich daran zu erinnern.
    Und wieso hast du dich dann nicht daran erinnert, die bescheuerte Milch mitzubringen, als ich dich darum gebeten habe? Wieso hast du dir am selben Abend einfach einen Termin für ein Geschäftsessen gesetzt, anstatt dich an meine Verabredung mit den Mädels zu erinnern? Es hätte mir so gutgetan, mein altes Selbst mal wieder rauszukramen!
    «Äh, wir haben uns zum Mittagessen getroffen und   –» Ich suchte nach Worten. «Es war kompliziert.»
    «Inwiefern?», fragt er ehrlich interessiert.
    «Aus verschiedenen Gründen. Aber ich schaff das schon», sage ich und spüre, wie ich in das alte Muster unserer Ehe verfalle. Über vieles sprechen, aber eigentlich nichts sagen.
    «Na dann schieß mal los.» Er macht es sich auf dem Stuhl bequem. «Erzähl es mir.»
    Wer bist du, und was hast du mit dem Mann gemacht, den ich geheiratet habe?
, denke ich und seufze. «Nun, meine Mutter hat eine Tochter, und das bedeutet wohl, ich habe eine Schwester. Dieses Mädchen ist jetzt genauso alt wie ich damals, als meine Mutter abgehauen ist   …» Meine Stimme driftet ab. «Sie hat mir von ihr erzählt, und auf einmal, keine Ahnung   … Mir wurde das plötzlich alles zu viel. Ich hatte das Gefühl, sie wollte ihre Fehler bei mir nur wiedergutmachen, weil dieses kleine Mädchen ihr jeden Tag Schuldgefühle verursacht, und nicht, weil sie wirklich etwas wiedergutmachen wollte.»
    «Das tut mir leid», sagt Henry. «Das war sicher ungeheuer hart.»
    «Was soll ich machen?» Ich zucke erneut die Achseln. «So ist das Leben eben.»
    «Wahrscheinlich, aber es ist trotzdem hart. Und jetzt?»
    «Jetzt schlage ich mich mit der neuen, schillernden Weihnachtskampagne für Coca-Cola herum.» In gespielter Verzweiflung werfe ich die Hände in die Luft, aber Henry lacht nicht.
    «Im Ernst, Jill. Was jetzt?»
    So bist du doch gar nicht
!
, denke ich.
Du bist niemand, der den Dingen auf den Grund geht. Du stellst keine harten Fragen. Und du hast doch gar kein Interesse daran, hinter die Fassade zu blicken, die unser Leben ausmacht   … Hör sofort auf damit! Wir haben eine glückliche Ehe vorgetäuscht, ohne uns um den Berg Probleme zu kümmern, der sich mit den Jahren aufgetürmt hatte. Außerdem hast du dir nie die Mühe gemacht, mich zu fragen, was ICH will, wenn es um meine Mutter ging! Immer nur «Tu dies, tu das» oder «Ich glaube, das Beste wäre   …».
    Als wärst du derjenige, der mit dem Verlust leben müsste.
    «Ach, Himmel, keine Ahnung.» Ich räuspere mich. «Äh   … Ich wünschte, jemand würde mir sagen, was ich tun soll   … Denn wie es scheint, bin ich nicht besonders gut darin, herauszufinden, was das Beste für mich ist.»
    Henry nickt. «Ja, verstehe. Das lässt sich manchmal nur schwer beurteilen. Sofortige Rendite gegen langfristigen Gewinn.»
    Das ist mein alter Henry: rational bis in die Knochen!
    «Was würdest du denn an meiner Stelle tun?», frage ich und wundere mich, wie leicht mir dieser Satz über die Lippen geht. Dabei habe ich mich so lange mit Händen und Füßen gegen seinen Rat in Bezug auf meine Mutter gewehrt. Dieses stille Vertrauen zwischen uns ist mir seltsam fremd. Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, wann sich zwischen der Befriedigung von Katies Bedürfnissen und Henrys Arbeit und meinem Anspruch, den perfekten Haushalt zu führen, zuletzt der eine von uns sich beim anderen angelehnt hat.
    «Mmh, ich weiß es auch nicht. Ich würde wahrscheinlich genau untersuchen, was mir wichtiger ist: meine Mutter zu verstehen oder mich vor einer neuen Verletzung durch sie zu schützen.» Nach einer kurzen Pause fügt er noch hinzu: «Aber ich bin eher der analytische Typ. Meine Eltern sind beide Wissenschaftler. Vielleicht liegt es daran. Ich versuche jedenfalls immer, eine möglichst logische Lösung zu finden, weißt du?» Er sieht mich fragend an.
    Ich weiß
!
, will ich rufen.
Spar dir deine Worte. Ich weiß, dass sie beide an der George Washington arbeiten. Und ich habe doch selbst erlebt, dass du, abgesehen von unserer Hochzeit und ein paar anderen, seltenen Momenten, deine Gefühle
immer auf den «rationalsten Punkt»

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