Gestern fängt das Leben an
meiner Reisetasche nach dem Telefon.
Jack hebt nicht mal den Blick: Er ist völlig vertieft in die ersten fünf Kapitel seines Romans. Weiter ist er in den vier Monaten, die ich jetzt schon zurück bin, immer noch nicht gekommen. Aber es ist trotzdem ein Fortschritt. Und er will seinen Entwurf heute Abend Vivian zeigen – auch wenn ihm bei dem Gedanken ziemlich mulmig zumute wird, wie er mir vor unserer Abreise gestand.
«Dann zeig ihr die Seiten nicht», hatte ich ihm geraten, als wir unsere Sachen packten.
«Doch, natürlich zeige ich ihr den Entwurf», sagte er und warf fünf Paar Boxershorts in seinen Koffer.
«Aber es macht dich verrückt», erwiderte ich und fragte mich, wie lange er eigentlich gedachte zu bleiben. (Oder musste er so häufig seine Wäsche wechseln?) «Du machst dir dermaßen Sorgen über ihre Meinung, dass du völligvergisst, dich selbst zu fragen, ob du damit glücklich bist oder nicht.» Ich holte gerade einen dunkelblauen Pullover mit Zopfmuster aus dem Schrank und erschrak darüber, wie sehr meine Worte auf mich selbst zutrafen. In meinem alten Leben war ich schließlich selber immer so sehr damit beschäftigt gewesen, es Henry recht zu machen, dass ich mich nie nach meiner eigenen Zufriedenheit fragte. (Oder was genauso wichtig war, ob er eigentlich wollte, dass ich ihm ständig alles recht machte.) Ich sah in den Schrankspiegel und ertappte mich mit ziemlich überraschtem Gesicht.
Jack seufzte. «Jillian, so ist es nun mal. Bitte nerv mich nicht ständig damit.»
«Okay.» Trotzig stopfte ich meinen Pullover in die Tasche. «Erledigt.»
Was hat es für einen Sinn, ihn ändern zu wollen? ,
sagte ich mir und ignorierte dabei die leise Stimme in mir, die flüsterte, dass Veränderung der wesentliche Punkt war, um den es ging.
Während mein Telefon also klingelt und die anderen Zugreisenden lautstark gegen den Fahrlärm diskutieren, kaut Jack auf seinem Stift herum und macht sich zwischendurch murmelnd Notizen in seinem Manuskript.
«Hallo?», sage ich laut über den Zuglärm hinweg. Ich muss fast schreien, und Jack erwacht aus seiner Trance. Er wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Aber ich zucke nur die Achseln.
«Ich bin schwanger!», schreit Meg am anderen Ende der Leitung. «Schwanger! Schwanger! Schwanger!»
Ich presse mir den Zeigefinger ins freie Ohr und drehe mich zum Fenster, um ein Minimum an Privatsphäre zu schaffen.
«Das ist ja wunderbar!», höre ich mich sagen, aber es klingt wie aus den Tiefen eines Tunnels heraus. In Gedanken spule ich meine Erinnerungen zurück.
Nein
, ich schüttle leicht den Kopf,
nein, damals war sie zu Thanksgiving nicht schwanger. Daran würde ich mich doch erinnern. Das hätte ich mir bestimmt gemerkt.
Mein Verstand springt in meiner Erinnerung vor und zurück wie in einem Bilderbuch, während ich nach einem Beweis dafür suche, dass dies
neue
Neuigkeiten sind, keine alten.
Vor sieben Jahren sind Henry und ich mit dem Auto nach Washington gefahren, wir haben zwischendurch Rast gemacht, obwohl widerliches Wetter war, und haben beim Fahren Countrymusic gehört und mitgesungen. Henry traf zwar keinen einzigen Ton, was ihn aber nicht daran hinderte, bei jedem einzelnen schmalzigen Song mitzusingen, der aus dem Autoradio tönte.
«In meinem Herzen bin ich ein Junge vom Land», gestand er mir zwischendurch kleinlaut.
«Und zwar ein ziemlich unmusikalischer», neckte ich ihn.
«Tja, jetzt hast du einen ersten Schönheitsfehler an mir entdeckt.» Er zwinkerte mir zu und richtete den Blick zurück auf die Straße.
Damals ahnte ich nicht, wie sehr mich seine Vorliebe für Countrymusic noch nerven würde. Als die erste große Verliebtheit abebbte, fing das Gedudel an, mir gehörig auf die Nerven zu gehen. Schließlich hörte Henry seine Musik nur noch, wenn er alleine war. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, ob er trotzdem noch mitsang, und wenn nicht, ob er es wegen mir aufgegeben hatte.
Aber eines steht fest: Während wir an jenem Tag vor Thanksgiving über den Highway zu seinen Eltern fuhren, hat Megan mich definitiv nicht angerufen, um Schwangerschaft Nummer zwei zu verkünden.
Auf dem Weg zu Vivian und Bentley betrachte ich das jetzt als gutes Zeichen.
Seit ich aus der Zukunft zurück bin, habe ich schon öfter den Verdacht gehabt, dass ich mit meiner Rückkehr eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt habe, die sonst so nie passiert wären. Ich hatte mich hierher zurückgewünscht, um
mein
Leben,
meine
Geschichte zu ändern und
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