Gestern fängt das Leben an
ungefähr dreißig Kleider anprobiert, bis meine Mutter und ich irgendwann einfach gesagt haben: Es reicht, dies hier ist schön, jetzt nehmen wir das.» Sie zuckt die Achseln. «Mir hat’s gereicht.»
«Danke, Mädels. Ich bin so froh, dass ihr mitgekommen seid», sage ich bestimmt nun schon zum zehnten Mal an diesem Nachmittag.
Auch Vivian hatte versucht, sich uns anzuschließen, aber das konnte ich gerade noch verhindern. Seitdem Jack und ich verkündet haben, wir würden heiraten, habe ich das Gefühl, als würde sie mich vollkommen vereinnahmen und als sollte ich ihr deswegen auf einmal all die Affronts und Zurückweisungen von früher verzeihen. Wenn ich ihr also jetzt auf wirklich vielen Gebieten versuche entgegenzukommen – indem ich zum Beispiel ihre täglichen Anrufe erwidere und dem Großteil ihrer albernen Hochzeitspläne zustimme –, so tue ich das im Grunde nur Jack zuliebe. Um ganz ehrlich zu sein, tue ich es, damit unsere Beziehung diesmal Erfolg hat. Trotzdem wollte ich auf keinen Fall, dass eine der beiden Frauen, die plötzlich unbedingt meine Mutter sein wollten, sich mit auf die Suche nach dem perfekten Brautkleid für mich macht. Komisch, dass es auf einmal gleich zwei Anwärterinnen gibt …
«Lassen Sie uns noch einen Schleier dazu probieren», schlägt die strahlende Beraterin vor, die sich uns als Deirdra vorgestellt hat. «Damit wird das Bild erst rund.»
Ainsley und ich nicken, und sie eilt davon, während Meg lustlos in einem Katalog blättert.
«Meg? Ist alles okay, Süße?» Ich raffe das Kleid hoch und steige von meinem Podest.
«Ja, ja.» Sie nickt und zwingt sich zu einem Lächeln, aber ihr fehlt jede Fröhlichkeit. «Du siehst wunderschön aus, Jill, einfach wunderschön.»
«Bist du sicher?» Als ich mich neben sie auf den elfenbeinfarbenen Zweisitzer setze, bauscht sich mein Kleid zu allen Seiten.
Ist sie wieder schwanger?
, frage ich mich.
Klappt es jetzt vielleicht? Oder bahnt sich ihre zweite Fehlgeburt an?
Die Wahrheit ist, dass ich damals dank meiner neuen Liebe zu Henry auf Wolke sieben schwebte und Megan etwas aus den Augen verlor. Ab und zu trafen wir uns noch auf einen Drink oder tauschten E-Mails mit den letzten Neuigkeiten über uns aus, aber irgendwie hatten wir beide die Zeit nicht mehr im Griff. Ich habe also auch keine klare Erinnerung an den genauen Zeitpunkt ihrer zweiten Fehlgeburt. Natürlich erfuhr ich damals davon, aber es hat sich mir offensichtlich nicht so ins Gedächtnis gegraben, wie es bei einer besten Freundin eigentlich sein sollte.
«Mir geht es gut», sagt Meg und versteckt ihr Gesicht hinter einer Hand, als könnte sie sich damit vor einem Tränenangriff schützen. «Ich habe heute Morgen nur meine Tage bekommen. Das ist alles.»
«Oh, Meg!» Ich nehme sie in den Arm und zerknautsche dabei mein Kleid.
Kopfschüttelnd macht sie sich los. «Nein, nein. Hör auf, ich will dir deinen großen Tag nicht vermiesen. Schließlich warte ich schon siebenundzwanzig Jahre darauf, mit dir ein Brautkleid kaufen zu gehen!» Sie lächelt über das ganze Gesicht, selbstlos und aufrichtig, und ich sehe ihr an, dass sie die Wahrheit sagt.
Dankbar drücke ich ihre Hand, und im selben Augenblick kommt die brünette Verkäuferin mit einem flatternden, bodenlangen Schleier zurück. Ich stelle mich wieder auf das Podest, und sie befestigt ihn mit geübter Hand an meinem Hinterkopf.
«Oh!» Ainsley klatscht in die Hände. «Das ist perfekt!»
«Ja», sagt Megan. «Du siehst genauso aus, wie ich es mir immer vorgestellt habe, wenn du vor den Altar trittst.»
«Ehrlich?», frage ich.
«Ehrlich», sagen meine Freundinnen wie aus einem Mund.
Deirdra nickt hinter ihnen begeistert, und ihre perfekt gestylten Haare wippen um den Kopf.
Für meine Hochzeit mit Henry hatte ich das Kleid alleine gekauft. Das war keine Absicht. Aber ich war zufällig in einem Laden in Sag Harbor darüber gestolpert, als Henry und ich dort ein Wochenende verbrachten. Er war auf den Bauernmarkt zwei Straßen weiter gegangen – damals hatte er noch Zeit, zu grillen. Und ich schlenderte durch die malerischen Straßen von einem Kitschgeschäft ins nächste. Es gab Geschirr, Kinderdrachen und handgenähte Decken zu kaufen. Schließlich landete ich bei
Rock of Ages
. Neugierig ging ich die Ständer durch und entdeckte schließlich ein schlichtes, zeitloses Etuikleid. Hinter dem asiatischen Wandschirm, der als Umkleide diente, schlüpfte ich hinein und betrachtete mich im
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