Gestern fängt das Leben an
mich dir, nur weil du auftauchst und ungestüm mit deiner Liebe winkst. Ein Chamäleon hört wohl nie auf, sich anzupassen.
Aber ich will endlich in meine eigene Haut schlüpfen und nicht immer nur das sein, was andere in mir sehen möchten. Ich muss anfangen zu erkennen, wer ich bin und wer ich sein möchte. Ich kann dir nicht bis in alle Ewigkeit die Schuld zuschieben, und ich will es auch nicht. Nein, ich würde endlich gerne erwachsen werden, eine Frau, die für ihren Weg und für ihr Glück selbst Verantwortung übernimmt.
Und ich hoffe wirklich, dass es uns eines Tages gelingt, unsere beiden Leben miteinander zu verknüpfen. Aber im Augenblick genügt es mir, zu wissen, dass es dich gibt, dass du bereit bist und wartest.
Ich hoffe, das genügt dir auch.
Alles Gute, Jillian
Ich stecke den Brief in einen Umschlag, lecke die Klebestelle an und schmecke die schale Gummierung auf der Zunge. Dann adressiere ich sorgfältig den Umschlag und lege ihn in meinen Postausgangskorb, von wo aus er in die Welt entlassen werden kann.
Es wird nicht ewig reichen, das weiß ich auch, aber es ist ein Anfang. Und für mich bedeutet ein kleiner Schritt schon einen kleinen Erfolg.
***
Eine Stunde später bin ich noch immer in Hochstimmung. Endlich habe ich gesagt, was gesagt werden musste. Und deshalb stimme ich begeistert zu, als Josie mich überreden will, uns ins nachweihnachtliche Getümmel zu stürzen. Ich soll sie begleiten, um ein paar Geschenke umzutauschen.
Also schnappe ich mir meine dunkelgrüne Daunenjacke und die Mütze und die dazu passenden Handschuhe und treffe sie unten in der Lobby.
«Wow! Du siehst ja richtig erholt aus!», sage ich und umarme sie kurz. Wir haben uns eine Woche nicht gesehen; sie war mit Art und den Kindern über die Feiertage in Naples.
«Das kommt von der Sonne», sagt sie leichthin und wedelt mit einer lederbehandschuhten Hand. Dann nimmt sie ihre Einkaufstüten und geht zur Drehtür am Eingang, die an normalen Tagen nicht zum Stillstand kommt.
«Und? Wie waren die Ferien?», frage ich, als wir auf die Straße treten. Die beißend kalte Winterluft knabbert wie Ameisen an meinem Hals, und ich ziehe den Reißverschlussganz nach oben. Aber die Kälte kriecht mir trotzdem in die Jacke.
«Schön», sagt sie wenig überzeugend. «Nein, es war wirklich schön», wiederholt sie mit etwas mehr Nachdruck.
«Und Art?», frage ich. Ein Lieferant in seinem Wagen mäht mich fast um, und ich kann gerade noch zur Seite springen.
«Er ist immer noch total scharf auf San José.» Sie lächelt wehmütig.
«Und du? Wie geht es dir damit?»
«Ich bin immer noch voller Hoffnung.» Ihr entfährt ein schiefes Lachen, das eher klingt wie das Heulen eines sterbenden Seehunds. «Immer noch voller Hoffnung», sagt sie noch einmal etwas sanfter.
«Das ist doch gut», pflichte ich ihr bei, während ich die Glastür zu
Saks
aufdrücke.
Aber es ist kein Durchkommen, weil zahlreiche Touristen gleichzeitig hinaus auf die Straße drängen. Schließlich quetschen wir uns gegen den Strom hinein. Ich spüre Josies Atem im Nacken, und die heiße Luft aus dem Gebläse über der Tür streicht mir über die Wangen. Gleichzeitig ziehen wir uns die Mützen vom Kopf.
«Bart ist zurück in San Francisco», erklärt Josie, als wir uns einen Weg durch die widerlich parfümierte Kosmetikabteilung zu den Aufzügen bahnen.
«Oh», sage ich überrascht und vielleicht auch ein bisschen erleichtert.
In sieben Jahren,
denke ich,
wirst du glücklich sein, verdammt!
Aber ich sage nichts. Stattdessen frage ich nur: «Endgültig?»
Der Lift trägt uns nach oben, ohne dass Josie auf meine Frage antworten würde. Sie zuckt nur die Achseln. Zumersten Mal kommt mir in den Sinn, dass sie vielleicht nicht nur eine Affäre im Sinn hatte. Vielleicht ging es ihr genau wie mir, als ich mich zu Jack zurückwünschte.
Es ist der Gedanke an Rettung aus dem momentanen Leben – auch wenn das Neue nicht passen sollte wie angegossen und es keinerlei Garantien dafür gibt, dass man beim zweiten Mal besser dran wäre. Nein, allein die Illusion, dass es besser sein könnte, gibt einem Auftrieb. Zumindest kann es ja nicht schlimmer sein als das, was man bis dahin hatte.
Obgleich ich mir da nicht mehr so sicher wäre
, denke ich.
«Es wäre schön gewesen, eine Wahl zu haben», erklärt Josie, als wir in der Damenabteilung aus dem Lift steigen.
«Das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich verstehe dich sehr gut.»
«Wieso?» Sie sieht mich
Weitere Kostenlose Bücher