Gestohlene Stunden des Glücks (Julia) (German Edition)
Und endlich stellte er die Frage, die ihm nachts den Schlaf geraubt hatte: „Hat er ihn jemals geschlagen?“
„Nein“, erwiderte sie fest. „Das würde ich nie zulassen.“
„Wie willst du Luca denn beschützen? Du hast dich doch selbst nie gewehrt.“
„Ich war ein Kind!“, rief sie gequält. Plötzlich schämte er sich, weil er so auf ihr herumhackte. Das hatten schon zu viele Leute getan.
„Entschuldige“, sagte er leise.
„Schon gut. Ich nehme es dir nicht übel, dass du glaubst, Luca helfen zu müssen.“ Sie klang so resigniert, als hätte sie sich damit abgefunden, dass niemand Rücksicht auf ihre Gefühle nahm. „Ja, meine Kindheit war von Gewalt geprägt, aber die ging von meinem Vater aus, nicht von meinem Großvater. Ich versichere dir, dass Luca in keiner Weise gefährdet ist. Er wächst in einer sicheren, liebevollen Umgebung auf.“
„Aber ohne Vater.“
Sie nickte betroffen. „Ja.“
„Ich bin froh zu hören, dass es ihm so weit gut geht, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass für mich die Familie im Mittelpunkt steht. Ich bin ein Ferrara. Wir kümmern uns umeinander. Ich denke nicht daran, mein Kind im Stich zu lassen.“ Wie Fias Mutter es getan hatte.
Jeder hier kannte die Geschichte von der englischen Touristin, die sich Hals über Kopf in den charmanten, gut aussehenden Pietro Baracchi verliebt hatte. Und schon bald nach der Hochzeit feststellen musste, dass sie auf einen unverbesserlichen Schürzenjäger mit einem Hang zu unkontrollierten Wutausbrüchen hereingefallen war. Nachdem er sie einmal zu oft verprügelt hatte, hatte sie Sizilien, ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern für immer den Rücken gekehrt. Pietro Baracchi war kurz darauf in betrunkenem Zustand tödlich mit seinem Boot verunglückt.
Fia sah ihn an. „Du bist sehr schnell bereit, mich zu verurteilen. Hast du dir jemals die Mühe gemacht, mal nachzufragen, ob die Nacht mit mir Konsequenzen hatte?“
„Ich hatte doch vorgesorgt.“
„Und das hat ja auch großartig funktioniert.“ Zornig warf sie ihr Haar in den Nacken. „Hast du dich jemals gefragt, wie es mir ergangen ist? Wie ich den Tod meines Bruders verkraftet habe? Hast du ein einziges Mal versucht, mich wiederzusehen?“
„Ich wollte nicht, dass die Situation eskaliert“, verteidigte er sich, doch er fühlte sich schuldig. Er wusste, er hätte sich bei ihr melden müssen.
„Und wenn ich dir gesagt hätte, dass ich ein Kind von dir erwarte, wäre die Situation dann nicht eskaliert?“
„Ein Kind hätte alles geändert.“
„Ein Kind macht die Dinge nicht leichter, höchstens schwieriger.“ Sie schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans. Ungeschminkt und mit offenem Haar sah sie unglaublich jung aus, fast wie ein Teenager, nicht wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau. „Verschwenden wir nicht unsere Zeit damit, über Vergangenes zu reden. Wenden wir uns der Zukunft zu. Ich verstehe, dass du mit Luca Kontakt haben möchtest. Ich denke, das lässt sich einrichten.“
„Wie bitte?“, fragte er zerstreut, den Blick auf ihre wohlgeformten Oberschenkel in der engen Jeans gerichtet.
„Ich meine, du kannst Luca gern sehen, wenn du dich an die Regeln hältst.“
Regeln? Wollte sie ihm die Regeln diktieren? „Und welche wären das?“, fragte er völlig perplex.
„Ich dulde nicht, dass du in Lucas Gegenwart auch nur ein schlechtes Wort über meinen Großvater oder meine Familie fallen lässt, mich selbst eingeschlossen. Wie sehr du dich auch über mich ärgern magst, du wirst dir nichts anmerken lassen. Was Luca betrifft, sind wir ein Herz und eine Seele. Er soll glauben, wir kämen gut miteinander aus. Wenn du das akzeptierst, kannst du ihn jederzeit sehen.“
Er konnte kaum fassen, wie gründlich sie ihn missverstanden hatte. „Ihn sehen?“, brauste er auf. „Glaubst du, mir geht es darum, eine nette kleine Besuchsregelung auszuhandeln, damit ich ab und zu etwas mit ihm unternehmen kann?“
„Willst du das nicht?“
„Natürlich will ich das. Ich will ihn sehen, und zwar immer und jederzeit“, erwiderte er barsch. „Wie ein ganz normaler Vater. Ich will ihn abends ins Bett bringen, ihn morgens wecken und so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen. Ich werde ihm zeigen, was eine richtige Familie ist. Ich habe meine Anwälte beauftragt, die nötigen Formalitäten zur Anerkennung der Vaterschaft in die Wege zu leiten, damit er als mein Sohn registriert wird. Mein Sohn.“
Sekundenlang herrschte Totenstille, dann
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