Gestohlene Wahrheit
mit jedem Schritt mehr vor den kommenden Minuten, aber sie würde das durchstehen.
Du schaffst das. Du schaffst das. Du schaffst …
Oh Mann, da war die Wunde wieder. Sie sah aus wie … tja, wie eine Schusswunde.
Rasch wandte sie den Blick ab und legte alles auf die Ablage. Nate drehte sich um und wandte ihr wieder den Rücken zu.
Bäh, das sah wirklich übel aus. Die Wunde am Rücken war noch schlimmer als die vordere.
Natürlich war das bei Austrittswunden immer so … zumindest hatte sie das mal irgendwo gehört oder gelesen.
»Gib das Desinfektionsmittel in die Quetschflasche.«
»Okay.« Sie öffnete die braune Flasche mit Peroxid und entleerte sie in die weiße Plastikquetschflasche, die einen langen, schmerzhaft aussehenden Hals hatte.
»Jetzt schieb die Tülle in die Wunde und drück fest auf die Flasche.«
Ali schloss die Augen, stieß lautlos die Luft aus, schob die Tülle in seine aufgerissene Haut und drückte. Das Peroxid quoll aus der Wunde in seinem Rücken und zischte und blubberte, als wäre es wütend über das zerfetzte Fleisch. Als sie ihm über die Schulter sah, konnte sie erkennen, dass ihm dieselbe schaumige, rötliche Masse auch an der Brust herunterlief.
Oh Mann.
»Argh.«
»Es ist schon okay, Süße. Du kannst eine Pause machen, wenn du möchtest.«
»Nein. Alles gut.« Sie war sich zwar nicht sicher, ob sie sich nicht wieder übergeben musste, aber egal.
»Okay, jetzt nimm das blutstillende Mittel, mach es auf und streu es vorn und hinten in die Wunde.«
Mr Stoisch konnte ihr nichts vormachen. Es musste höllisch wehgetan haben, als sie das zackige Loch ausgespült hatte, aber außer einem einzigen Schweißtropfen, der an seiner linken Schläfe herunterlief, ließ er sich nichts anmerken.
Sie schluckte die Magensäure wieder herunter, die ihr bereits die Speiseröhre hinaufstieg, nahm das Päckchen mit dem blutstillenden Mittel und riss es auf. Seine Wunde, aus der das Blut vor dem Reinigen nur getröpfelt war, blutete jetzt stark.
»Das Mittel wirkt nur, wenn es direkt auf die offenen Blutgefäße gegeben wird, also sei nicht zu schüchtern. Du musst das Zeug irgendwie da reinkriegen«, wies er sie an und beugte sich ein bisschen vor, damit sie etwas mehr Spielraum hatte.
So schnell sie konnte, streute sie etwas Pulver aus dem Päckchen und drückte es in die Wunde. Erstaunlicherweise trocknete das Blut, das an seinem Rücken herunterrann, sofort.
Hey, das ist ja ein Zauberpulver.
»Gut. Jetzt vorne.«
Er drehte sich auf dem Toilettendeckel um und lehnte sich mit dem Rücken an den Spülkasten. Die vordere Wunde war sauberer, aber auch hier lief das Blut noch heraus. Sie stellte sich rittlings über seine Beine, beugte sich über ihn und wiederholte den Vorgang.
Auch jetzt hörte die Blutung sofort auf und trocknete schneller ein als eine Schnecke, die man mit Salz bestreute. Wie eklig. Als wäre die Situation nicht schon verstörend genug, hatte sie jetzt auch noch dieses Bild vor Augen.
»Das ist gut, Süße.« Seine Stimme klang rau.
Sie sah nach unten und rechnete damit, dass er vor Schmerz das Gesicht verzog, aber der dämliche Kerl war damit beschäftigt, ihr in den Ausschnitt zu gucken.
Im Ernst? Er glotzte ihr auf die Brüste? Was ging ihm bloß durch den Kopf?
Sie dachte an Schusswunden, Blut und Schnecken, und er hatte nichts als
Brüste
im Kopf?
»Männer«, knurrte sie angeekelt, rückte von ihm ab und ging zu dem Waschbecken und den dort liegenden Waschlappen hinüber. »Ihr habt wirklich nicht viele Gehirnzellen, was?«
»Nö.« Er kicherte, und dieses Geräusch klang in ihren Ohren tief und intim und gleichzeitig so fremdartig. »Aber sie sind sehr eifrig bei der Sache.«
»Pfft.«
Sie befeuchtete zwei Waschlappen mit heißem Wasser und drehte dann den Finger in der Luft, um ihm zu bedeuten, sich wieder umzudrehen. Sie legte ihm einen Waschlappen auf die Schulter und warf ihm den anderen in den Schoß. »Du kannst dich vorn sauber machen. Ich kümmere mich um deinen Rücken.«
»Verstanden.«
Sie wischte das Blut so sanft, wie sie nur konnte, von seinem breiten Rücken. Dummerweise war es an einigen Stellen bereits angetrocknet und sie musste etwas heftiger reiben. »Entschuldige«, sagte sie, als er aufstöhnte.
»Schon okay«, zischte er und ließ sie zum ersten Mal erkennen, wie sehr es wirklich wehtun musste. »Es muss ja sein.«
Ja, das stimmte, und sie war erstaunt, dass sie das tun konnte, ohne dass ihr wieder übel wurde. Dieser
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