Gestohlene Wahrheit
verlassen hatte.
Ali schwenkte einen großen Plastikschlüssel in der Luft herum. War das …? Ja, er war geformt wie eine Forelle. Oh, das Happy Acres schien etwas ganz Besonderes zu sein.
»Folge mir zu unserem gemütlichen kleinen Zimmer«, wies sie ihn an und nahm die Tasche, die er ihr reichte. Er schulterte die anderen Satteltaschen und …
Verdammt! Das tat weh!
Ja, er war verletzt. Das sollte er lieber nicht vergessen.
Er biss die Zähne zusammen und ging hinter Ali her zu einer Tür, von der die grüne Farbe bereits abblätterte. Die Tür sah alt und heruntergekommen aus, und daran baumelte eine Acht aus Plastik. Ali ging hinein und …
Er blinzelte.
»Ist das ein Witz?«, fragte er, als er über die Türschwelle trat.
Das musste ein Witz sein, denn sie wurden von einem Big Mouth Billy Bass begrüßt, einem dieser sich bewegenden singenden Plastikfische. Er schwenkte seinen Fischkopf, zappelte auf dem Brett herum und fing an, »Don’t worry, be happy« zu singen.
»Schön wär’s«, erwiderte Ali angeekelt und rümpfte die Nase, weil es in dem Zimmer stark nach Sagrotan und Teppichdeo roch. Zumindest hatte jemand vor nicht allzu langer Zeit versucht, hier sauber zu machen. »Dummerweise hatten wir aufgrund eines Klärgrubenproblems nur die Wahl zwischen diesem Zimmer und dem Trophy Buck Room. Da wir eine Schusswunde behandeln müssen, wollte ich dabei nicht von all diesen ausgestopften Hirschköpfen mit ihren traurigen braunen Augen beobachtet werden. Schließlich haben sie ein ähnliches Schicksal erlitten.«
Sie ließ die Tasche auf das breite Bett fallen. Es sah absolut lächerlich aus. Die Tagesdecke war ein Mosaik aus Fliegenfischködern, und am Kopfende lehnten vier riesige fischförmige Kissen. Über dem Bett hatte man zwei Ruder neben zwei Reusen angebracht. Er neigte den Kopf und sah sich die Füße der Lampen auf dem Nachttisch genauer an, die die Form von Angelruten hatten. Selbst die Knöpfe an den Schubladen des Sperrholzschranks stellten kleine Lachse dar.
Großer Gott.
Dieses Zimmer war ja förmlich aus einem Anglerkatalog entsprungen.
Ali zog ihre Stiefel und ihre Überhose aus und warf die Jacke beiseite. Dann landete die schusssichere Weste mit einem Knall auf dem Boden. Durch die Bewegung fühlte sich der singende Fisch dazu animiert, mit der zweiten Strophe weiterzumachen.
»Kann man das Ding irgendwie ausschalten?«, rief sie über den Lärm hinweg und musterte das kitschige Dekorationsobjekt, das über der Zimmertür herumwackelte.
Nate wusste einen guten Weg, wie man es zum Schweigen bringen konnte. Er konnte es mit dem Stahlabsatz seines Stiefels zertreten. Seine Geduld mit geschmacklosen, fischigen Objekten war schon an guten Tagen äußerst begrenzt. Kombiniert mit dem Blutverlust, der erschreckenden Erkenntnis, dass er in Ali verliebt war, und der Tatsache, dass ihn der Gedanke verrückt machte, ein Typ mit einer schallgedämpften Waffe könnte ihr ein Loch in den hübschen Schädel schießen, war sein Bedürfnis, noch einmal »Don’t worry, be happy« zu hören, gleich null.
Aber anstatt seinem Bedürfnis nachzugeben und den mechanischen Fisch für alle Ewigkeit zum Schweigen zu bringen, streckte er den linken Arm aus …
Scheiße!
Du wurdest angeschossen, rief er sich ins Gedächtnis.
Obwohl er nicht schwer verwundet war – er hatte schon Schlimmeres erlebt –, bedeutete das nicht, dass es nicht höllisch wehtat.
Er griff also mit der rechten Hand nach dem Fisch, nahm ihn von der Wand und drehte ihn um, sodass er die Batterien rausnehmen konnte. Dann schüttelte er den Kopf und legte das jetzt schweigende Ding auf den kleinen runden Tisch, der vor dem Fenster stand. In die Tischmitte war ein Mosaik aus verschiedenen Fischen eingelassen. Die Sitzflächen der beiden Stühle, die unter dem Tisch standen, waren mit demselben Fliegenfischstoff gepolstert, aus dem auch die Tagesdecke bestand.
Wer immer dieses Zimmer dekoriert hatte, sollte entweder erschossen oder ins
Guinnessbuch der Rekorde
unter dem Eintrag »Schlechtester Geschmack« aufgenommen werden.
»Okay«, sagte Ali und unterbrach die angenehme Stille. »Komm mit.«
Er hatte keine andere Wahl, als ihr zu folgen, während sie vor ihm ins Badezimmer ging. Er ließ seinen hungrigen Blick über ihren knackigen Hintern gleiten, und sein Verstand malte sich bereits aus, welchen String sie unter dieser eng anliegenden Jeans tragen mochte. Als er ihre Unterwäsche durchsucht hatte, war ihm aufgefallen,
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