Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
sein Gewicht ein, um Coeo zu helfen.
Bevor sich die Tür wieder schloss, erhaschte er einen kurzen Blick auf Ragnars Männer, die auf der anderen Seite um den Gothi herumwuselten, als wären sie in einer Brown’schen Bewegung gefangene Gasmoleküle, während ihr Anführer eine Hand auf die stark blutende Halswunde gepresst hielt. Zum Glück hatte der Anblick ihres Anführers die Verfolger einige entscheidende Sekunden lang abgelenkt und es Karl und Coeo so ermöglicht, die Tür gerade noch rechtzeitig wieder schließen zu können.
»Allen Göttern sei Dank, dass wir es nicht mit ausgebildeten Soldaten zu tun haben«, keuchte Karl. Er stand heftig atmend vornüber gebeugt da, die Hände auf die Knie gestützt. »Profis hätten sich nicht zuerst um Ragnar gekümmert, sondern sich sofort auf die Tür gestürzt.« Als er den Kopf hob, sah er, dass Bera von Kopf bis Fuß zitterte. »Hey, hey, das ist nicht nötig«, beruhigte er sie. Wie viel Überwindung musste es sie wohl gekostet haben, einen Mann zu verletzen, der – was auch immer er ihr angetan hatte – ihr Vater hätte sein können? Er schloss sie in die Arme und sah sich gleichzeitig um.
Die Kommandobrücke war ein nur leicht abgeflachtes Oval mit einem Längsdurchmesser von etwa zehn Metern. Die Vorderseite gegenüber der Tür, durch die sie gekommen waren, wurde von einem großen Panoramafenster beherrscht, das sofort alle Blicke anzog und auf den gefrorenen Jokullag hinausging. Die Eisfläche erstreckte sich so weit in die Ferne, wie Karl sehen konnte.
Als es ihm endlich gelang, sich von der furchtbaren Schönheit des Anblicks loszureißen, sank ihm der Mut. »Offenbar haben die Burschen alles weggeschleppt, was nicht festgeschraubt gewesen ist«, murmelte er. Er inspizierte die Kommandokonsole. »Und ein paar der Dinge, die festgeschraubt waren, noch dazu.«
Einige Armaturen waren entfernt worden, Kabelbäume hingen aus geöffneten Wandpanelen heraus, Metallklammern im Boden verrieten, wo früher einmal Sessel gestanden hatten. Eine dicke Staubschicht hatte sich über alle Oberflächen gelegt. Andere Dinge aber befanden sich noch an ihrem Platz. Die Brücke war nicht so vollständig ausgeschlachtet worden wie die tiefer gelegeneren Decks. Vielleicht hatte es sich die Besatzung hier im letzten Moment anders überlegt.
»Bedeutet das, du wirst keinen Notruf senden können?«, erkundigte sich Bera.
»Das werden wir noch sehen.« Karl probierte mehrere Schalter aus. »Zuerst müssen wir herausfinden, ob noch etwas Energie verfügbar ist. Diese alten Kisten wurden mit Fusionsgeneratoren betrieben, wie sie seit Jahrhunderten kein Mensch mehr benutzt. Ich nehme an, dass der Reaktor intakt geblieben ist. Sonst hätten die Gestalter die Strahlung vom Orbit aus entdeckt.«
»Ist es nicht möglich, dass sie sie einfach nur übersehen haben?«, fragte Bera.
Karl schmunzelte. »Nicht bei der Menge, die diese Kiste in der näheren Umgebung verteilen würde, wenn der Reaktor leck wäre.« Seine Augen weiteten sich. »Vielleicht haben sich die Pantropisten gerade deshalb diesen Landeplatz ausgesucht, um nicht das Risiko einzugehen, ihre Nachkommen zu verstrahlen. Die Außenhülle des Schiffs wäre nach dem Sturz durch die Atmosphäre so aufgeheizt gewesen, dass sie das Eis sofort zum Schmelzen gebracht hätte. Abgesehen von der ersten Mikrosekunde des eigentlichen Aufpralls, wäre es von flüssigem Wasser abgebremst worden.«
Den Stimmen auf der anderen Seite der Tür nach zu urteilen, in der immer noch ein etwa fünf Zentimeter breiter Spalt klaffte, hatten sich Ragnars Männer wieder beruhigt. »… aus den Paketen, in denen wir sie verstaut haben«, sagte Arnbjorn gerade.
Bera ließ die Schwertklinge an der Türkante herabsausen. Auf der anderen Seite erklang ein lauter Schrei, Blut spritzte aus dem Spalt, und ein paar Fingerkuppen fielen zu Boden.
Karl atmete tief durch. »Also gut. Hoffen wir, dass meine Theorie zutrifft. Ich werde versuchen, von der Brücke aus auf die Triebwerke und auf den Aye zuzugreifen – sofern das Schiff überhaupt einen hat. Dazu benötigen wir erst einmal Energie. Einige Bereiche müssten über Reserveenergie verfügen. Mit ein paar Fusionsbatterien im Stasismodus …« Er legte eine Reihe von Schaltern um, drückte einige Tasten und lachte begeistert auf, als ein paar Kontrollleuchten zu flackern begannen. »Es fehlen zu viele Anzeigen«, murmelte er vor sich hin. »Also werden wir uns mit dem begnügen müssen, was wir haben.
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