Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
könnte ich auf die – zugegebenermaßen begrenzten – Messungen zurückgreifen, die unser Schiff durchgeführt hat. Sie alle belegen, dass die planetare Ozonschicht um insgesamt 40 Prozent abgenommen hat, über den Polarregionen sogar um 80 Prozent.
Besteht Gefahr für die Siedler?
Vielleicht. Am Rand von Karls Sichtfeld baute sich ein Diagramm auf. Der Ausgangspunkt, gekennzeichnet durch das rote Viereck, zeigt die allgemeine Durchschnittstemperatur zum Zeitpunkt des Absturzes der Winter Song . Vergleiche sie nun mit der allgemeinen Durchschnittstemperatur auf Isheimur, als die Gestalter ihr Projekt begonnen haben …
Ungefähr der gleiche Wert.
Genau. Hier jetzt der Wert, um den sie die Temperatur erhöht haben – ein drittes Feld in Form eines Dreiecks blitzte auf –, dort der Wert, der eigentlich heute herrschen sollte – ein weiteres Dreieck erschien, das durch eine neue Linie mit dem Rest der Grafik verbunden wurde –, und schließlich die Temperatur, mit der wir es laut den letzten Messungen tatsächlich zu tun haben.
»Aber … das ist unmöglich!«
Die anderen drehten die Köpfe in Karls Richtung und starrten ihn an, und er begriff, dass er laut gesprochen hatte. »Das sind mehrere Grad Kelvin weniger, als es sein müssten«, fügte er mit gedämpfter Lautstärke hinzu.
7,1 Grad, um genau zu sein. Ich kann zu diesem Zeitpunkt weder eine stichhaltige Theorie noch einen Lösungsvorschlag liefern. Lass mich weiter daran arbeiten.
Einverstanden. Wir haben jetzt nicht die Zeit, uns mit allen daraus folgenden Konsequenzen zu befassen. Wich tiger ist es momentan, ein Signal abzusetzen, das andere Empfänger erreichen kann, statt uns nur auf das Hangzhou-Relais zu verlassen. Wie lange es auch immer dauern mag, wir müssen Leute von draußen nach Isheimur holen. Danach können wir damit beginnen, unseren Erkenntnissen Taten folgen zu lassen.
Karl bemerkte, dass Bera seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte. Das Schiff erreichte gerade die Karman-Linie des Planeten, hinter der der wirkliche Weltraum begann.
Bera beobachtete, wie Karl wieder aus seiner Versunkenheit auftauchte. Sie wünschte sich, er würde ihren Gefangenen mehr Beachtung schenken. Thorir zeigte diesen verschlagenen Gesichtsausdruck, den er immer aufsetzte, wenn er glaubte, besonders schlau zu sein.
Da sie dringend für einen Moment verschwinden musste, winkte sie Coeo zu sich und deutete auf die Gefangenen. »Kannst du sie fünf Minuten lang bewachen?«, fragte sie. Sie hatte keine Ahnung, wie viel er von dem verstand, was sie langsam und mit sorgfältiger Betonung – wenn auch mit leiser Stimme – zu ihm sagte, aber er nickte und nahm ihr Schwert entgegen.
Sie tippte Karl auf die Schulter. »Bin in fünf Minuten zurück.«
»Hmm«, machte er, den Blick schon wieder wie in unsichtbare Fernen gerichtet.
»Karl, was ist mit dir los?«
Er blinzelte und schien sie erst jetzt richtig wahrzunehmen. »Loki kämpft mit dem Bordrechner.«
»Ich muss dringend pissen«, sagte Bera. »Ich bin so schnell wie möglich wieder da, aber ich muss einfach kurz verschwinden.«
Karl nickte, und Bera verließ, vom Druck ihrer Blase getrieben, fluchtartig die Brücke.
Sie benötigte ein paar Minuten, die sich fast als zu lang erwiesen, um die Toilette zu finden, schaffte es aber gerade noch rechtzeitig. Als sie auf die Brücke zurückkehrte, schien Karl wieder ganz der Alte zu sein, zumindest der Art nach zu urteilen, wie er ihr zuzwinkerte. »Problem gelöst?«, erkundigte sie sich.
»Davon gehen wir aus«, erwiderte er und wandte sich wieder Ragnar zu.
»Auch wenn das, was du sagst, wahr ist«, sagte Ragnar gerade, »gibt dir das immer noch nicht das Recht, uns gefangen zu halten oder allein zu entscheiden, was mit dem Schiff geschehen soll.«
»Ich habe jedes Recht.« Karl strahlte über das ganze Gesicht. »Ich berufe mich dabei auf die gleiche Logik, wie du es getan hast – die sich daraus ergibt, dass ich am längeren Hebel sitze und Macht mit Recht gleichzusetzen ist. Einer der Punkte, die du akzeptieren musst, wenn du darüber verhandeln willst, Zugang zu diesem Raumschiff zu erhalten, ist, dass sich dein Schwiegersohn wegen Vergewaltigung vor einem Gericht verant wortet – natürlich vorausgesetzt, ein so aufgeklärtes Kon zept ist für dich nachvollziehbar.«
»Karl, nein!«, rief Bera.
»Was?« Er starrte sie befremdet an. »Möchtest du denn nicht, dass dieser Bastard vor Gericht gestellt wird?«
»Diese Sache soll unter uns
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