Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

seinem Rücken zerrte.
    Aufgrund seiner optimierten Lungen würde Karl vielleicht noch wenige Minuten durchhalten können, aber er wusste nicht, wie es um Coeo stand. »Anheben!«, presste er hervor, und Coeo reagierte sofort. Trotz der Schwerelosigkeit schafften sie es kaum, sich gegen die Tür durchzusetzen und sie anzuheben.
    Plötzlich quetschte sich Ragnar zwischen sie, und mit seiner Hilfe gelang es ihnen, die Massenträgheit der dicken Metallplatte zu überwinden. Karl spürte, wie sich ein Muskelstrang in seinem Rücken verkrampfte, Coeo ächzte, und Ragnar stöhnte leise, aber schließlich hatten sie die Tür aufgerichtet und vor die klaffende Schleusenluke geschoben.
    Der Sturm ebbte sofort ab, das Heulen sank zu einem Winseln herab. Nachdem der Sog der ins All entweichenden Luft nicht länger an ihnen zerrte, schwebten die drei Männer wieder in der Schwerelosigkeit. Ragnar riss einen Streifen aus seinem Hemd und stopfte ihn in die größte Lücke, die zwischen der Decke und dem Türblatt klaffte. Das winselnde Pfeifen verstummte. Coeo erschlaffte und schnappte nach Luft. Ragnar trieb keuchend gegen die Korridorwand.
    Karl atmete in tiefen, abgehackten Zügen ein, bis ihm schwindlig wurde. Ich darf nicht hyperventilieren!, ermahnte er sich. »Okay.« Er wischte ein Blutrinnsal fort, das aus seiner Nase sickerte. »Müssen zurück … verhindern, dass noch mal so was passiert …«
    Er zog Coeo hoch und drehte sich zu Ragnar um. Ragnars Gesicht hatte eine stumpf-graue Färbung angenommen, doch er wehrte jede Hilfe mit einem Kopfschütteln ab und hangelte sich schwerfällig zwischen den beiden wie in Zeitlupe durch den Korridor, in dem allerlei kleine Gegenstände, die der Sog aus der Kommandozentrale gesaugt hatte, wie überdimensionale Schneeflocken umherwirbelten.
    Die anderen erwarteten sie bereits am Türdurchgang. Arnbjorn und Orn nahmen Ragnar in ihre Mitte. »Du sturer alter Bock!«, schimpfte Arnbjorn. »Habe ich dir nicht gesagt, dass du mir das überlassen solltest?«
    Ragnar schüttelte den Kopf. »Du wirst noch gebraucht, um den Hof zu leiten. Yngi ist dazu nicht in der Lage, wie gern ich den Jungen auch habe. Und Orn wird dir dabei helfen.«
    »Sag doch nicht so was«, murmelte Orn.
    Bera ergriff Karls Arm. »Alles in Ordnung mit dir?«
    Karl lächelte. »Ich wollte dich gerade dasselbe fragen.« Abgesehen davon, dass der plötzliche Druckabfall ihr die Augen ein bisschen aus den Höhlen hatte quellen lassen, schien sie den Vorfall unbeschadet überstanden zu haben. Er presste eine Hand auf die Stelle seines Hinterteils, wo offenbar eine Muskelfaser gerissen war, und zuckte zusammen.
    »Was jetzt?«, wollte Bera wissen. »Es scheint wieder Ruhe eingekehrt zu sein.«
    »Was daran liegt, dass der Idiot glaubt, wir wären tot«, erwiderte Karl grimmig. »Das wird sich gleich ändern.«
    Willst du wirklich, dass ich das tue?, vergewisserte sich Loki. Es war eine rein rethorische Frage. Sie hatten die Angelegenheit bereits auf dem Rückweg zur Brücke diskutiert.
    Unbedingt, bestätigte Karl. Wir haben jetzt schon zu viel Zeit verloren. Aber nur, wenn du dir sicher bist, dass du die Sache auch durchziehen kannst. Ein gescheiterter Versuch wäre schlimmer als gar keiner.
    Ich bin mir sicher, sagte Loki. Und auch bereit, es sofort zu tun. Im selben Augenblick, als der Idiot seinen Anschlag auf unser Leben unternommen hat, hat er selbst jegliche Gegenmaßnahmen legitimiert.
    Dann lass uns aufhören, darüber zu reden, und loslegen. Karl verzog wie immer das Gesicht, als er wieder das Datenkabel in den Anschluss in seinem Nackenansatz einstöpselte und sich in seinem Sitz festschnallte. »Es wird so aussehen, als wäre ich für einige Sekunden ohnmächtig«, sagte er zu Bera. »Kein Grund zur Besorgnis.« Dann sackte er in sich zusammen.
    Du ranntest durch einen gewaltigen Korridor, der in Wirk lichkeit gar keiner war, sondern nur die Visualisierung der Verbindung zwischen dir und Karl.
    Karl stand weit hinter dir am Eingang des Ganges, die Arme vor der Brust verschränkt. »Gute Jagd!« Seine Stimme hallte durch den Korridor, aus dem dir ein sanfter Luftzug entgegenwehte. Du hobst grüßend die Hand.
    Es war ein seltsames Gefühl, als wärst du eine Hälfte eines siamesischen Zwillings, der plötzlich durch das Skalpell eines Chirurgen von seinem Bruder getrennt wurde. Doch es gab kein Zurück, und du wusstest auch, dass die Rückkehr in eine solche Umgebung – selbst in eine derart kümmerlich