Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
zu vertrauen – wenn überhaupt jemals. Aber wenigstens ist das ein Anfang. »Schön zu sehen, dass du nicht gleich alle alten Angewohnheiten über Bord geworfen hast, wie zum Beispiel die, zu leben«, sagte er stattdessen. Und seltsamerweise meinte er es sogar ernst. Der alte Mann hatte versucht, ihn zu töten und ihn um die halbe Welt gejagt. Andererseits aber hatte er ihm auch zweimal das Leben gerettet, und vieles von dem, was auf Isheimur geschehen war, hatte die Hölle des Beinahe-Vakuums nach dem Angriff des Bordrechners ausgelöscht.
Ragnar versuchte, noch etwas anderes zu sagen, aber alle weiteren Worte waren bis zur Unverständlichkeit verzerrt. »Ganz ruhig, Papa«, besänftigte ihn Arnbjorn. »Du hast bereits genug getan, mächtiger Krieger.« Als würde er seinem Sohn gehorchen, schloss Ragnar die Augen und ließ den Kopf auf die Seite sinken.
Karl bedeckte Beras Hand, die immer noch auf seiner Schulter lag, mit der seinen. »Ich weiß nicht so richtig, wie ich das sagen soll …«, begann er.
»Versuch es einfach damit, den Mund zu öffnen und die Lippen zu bewegen«, schlug Bera lachend vor, doch dann wurde sie wieder ernst. »Was?«
»Ich würde gern ein paar Dinge klarstellen«, sagte Karl. »Ich bin mir zwar sicher, dass alles glattgehen wird, aber nur für den Fall, dass es doch schiefgehen sollte … Ich danke dir. Für alles. Das ist mir ernst.«
Beras Augen wurden groß. »Du bist dir gar nicht so sicher, dass deine Idee wirklich funktionieren wird, nicht wahr?«
»Doch, ich bin mir sicher«, behauptete Karl und dachte dabei: Würde mir irgendwer eine Wette von eins zu tausend anbieten, fände ich das schon großzügig. Doch um zu vermeiden, dass die anderen in Panik gerieten, muss ich mich zuversichtlich zeigen.
»Was ist mit deiner Familie?«, wollte Bera wissen. »Mit Karla, Lisane und Jarl? Nachdem du jetzt so weit gekommen bist, willst du es dir da wirklich nicht noch einmal anders überlegen?«
»Weißt du …« Karl würgte den Ansturm der Gefühle hinunter, die ihn zu überwältigen drohten, »… Ich kann mich kaum noch an ihre Gesichter erinnern.«
»Trotzdem«, sagte Bera. »Das Risiko einzugehen, sie nie wiederzusehen und das alles nur für … Für was? Für eine Welt voller Fremder? Die dir nicht einmal danken würden?«
Karl zuckte die Achseln. »Ich tue das nicht, weil ich es auf ihre Dankbarkeit abgesehen habe.«
»Warum dann?«
Es dauerte eine Weile, bevor er antworten konnte, da er nach Worten suchte, die nicht zu aufgebläht klangen, aber dann zuckte er innerlich die Achseln.
»Weil es das Richtige ist«, sagte er. »Und weil ich nicht bereit bin, euch einfach im Stich zu lassen. Wahrscheinlich wird diese verrückte Idee uns alle umbringen, aber wenn wir nichts unternehmen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du sterben wirst, unendlich viel größer, und das werde ich einfach nicht zulassen.«
Eine Weile herrschte Stille, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
»Wenn wir schon dabei sind, reinen Tisch zu machen, habe ich auch noch etwas zu sagen«, brach Bera schließlich das Schweigen. Sie blickte zu Boden, leckte sich über Lippen und platzte dann heraus: »Weißt du, dass ich eigentlich immer noch Jungfrau bin?«
Karl schwieg, unsicher, worauf sie hinaus wollte.
»Ich hatte zwar einmal Sex, aber kein Mann hat mich jemals richtig geliebt.«
»Offenbar nicht.« Er strich ihr sanft über die Wangen.
Sie drückte ihr Gesicht gegen sein Hand. »Ich würde gern … Ich … Es gibt nur einen Mann, mit dem … Ich würde wirklich, wirklich gern …«
Karl warf einen Blick in die Runde, aber alle anderen waren irgendwie beschäftigt. Er beugte sich zu Bera hinab. Sie hob das Kinn, und er küsste sie. Sie schloss die Augen, erwiderte seinen Kuss und schlang ihm die Arme um den Hals.
Sich in der fast vollständigen Schwerkraft von der Brücke zu entfernen, war das Einfachste der Welt. Karl stieß sich von seinem Sessel ab und schwebte mit Bera durch die Türöffnung in den anschließenden Gang hinein. Schon während des Fluges schob er ihr eine Hand unter die Bluse und ließ sie über ihr Rückgrat wandern.
Bera stöhnte und bog den Rücken durch, sodass sie ihren Unterleib gegen den seinen presste, wodurch sich ihre Rotationsachse veränderte. Karl löste seine Lippen von den ihren und ließ sie in einer endlosen Abfolge von Küssen so federleicht über Beras Kinn und ihre Wangen gleiten, dass sie ihre Haut kaum für den Bruchteil einer Sekunde
Weitere Kostenlose Bücher