Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
hielt, doch das würde warten müssen.
»Ich glaube kaum, dass ich meine Zeit damit vergeuden sollte, die Kinder zurück zum Haus zu führen, um den Streit zu schlichten, den du vom Zaun brichst«, begann Hilda. »Papa war gut zu dir. Es war großzügig von ihm, dich überhaupt aufzunehmen und dir dann zu erlauben, bei uns zu bleiben, aber anstatt ihm dafür dankbar zu sein, musst du uns ständig Ärger machen. So wie mit diesem Unfug jetzt, den du nur veranstaltest, um Aufmerksamkeit zu erregen. Solltest du dir noch mal so etwas leisten, werde ich Papa anweisen, dass er dich fortschickt.«
Anweisen? , dachte Bera. Wer bist du denn, dass du ihn anweisen könntest, mich fortzuschicken? Was Hilda tatsächlich meinte, war natürlich, dass sie ihren Vater beschwatzen würde.
Mit brennenden Augen stürmte Bera zurück zur Wasch küche.
Auf dem Weg entdeckte sie Karl auf der Rückseite des Hauses vor der Sauna stehen. Er hatte sein Hemd ausgezogen und hielt es in einer Hand, die Arme im schwachen Sonnenlicht ausgestreckt, so reglos wie eine Statue.
Bera stampfte wütend auf ihn zu, den Kopf gesenkt. Alles, was er hätte tun müssen, war, ihre Version des Gesprächs mit Thorbjorg zu bestätigen … Wahrscheinlich hat er vor, es ihr zu besorgen, dachte sie. Thorbjorg ist ständig läufig, diese dreckige Nutte.
Karl starrte noch immer geradeaus. Bera folgte seinem Blick und sah Yngi.
Ragnars Sohn saß auf einer Bank in der Nähe, ein Bein ausgestreckt, einen Stiefel ausgezogen. Auch er blickte starr geradeaus wie verzückt auf ein großes weißes Feder bündel, das seinen nackten Fuß verbarg.
»Komm mit!«, rief Bera Karl zu.
»Was tut er da?«, wollte Karl wissen, ohne sich zu ihr umzudrehen.
»Er füttert den Snawk.« Bera zerrte an seinem Arm, aber er rührte sich nicht von der Stelle. »Das ist etwas Privates. Niemand soll ihn dabei stören. Du könntest den Snawk sonst verscheuchen.«
Als hätte er sie gehört, drehte der Snawk den Kopf in den Nacken, wandte sich um und stieß einen schrillen Ruf aus. Blut tropfte aus seinem rasiermesserscharfen Schnabel.
»Sie ernähren sich vom Blut ihrer Halter aus einer Wunde am Ansatz des großes Zehs«, erklärte Bera. »Das hält sie davon ab, über die Schafe herzufallen. In der Wildnis sind sie Schädlinge.«
»Faszinierend«, murmelte Karl und folgte ihr, wobei er einen Blick zurück über die Schulter warf. »Benutzt ihr ihn für die Jagd?«
»Im Winter.« Als ein Felsblock die Sicht auf Yngi und den Raubvogel versperrte, blieb Bera stehen und flüsterte: »Und das ganze Jahr über zur Schädlingsbekämp fung. Es ist so ziemlich das einzige einheimische Raubtier, das sich ohne schädliche Nebenwirkungen von unserem genetischen Material ernähren kann – zumindest in kleinen Dosen – und deshalb züchten wir die Vögel. Yngi füttert ihn jeden Tag. Der Speichel des Snwaks enthält ein Sekret, das die Wunde nie völlig verheilen lässt, sodass man sie ständig verbinden muss. Dadurch beginnt sein Halter stark zu hinken.«
»Deshalb ist er also behindert?«, fragte Karl fassungslos. »Ihr verkrüppelt vorsätzlich einen Mann?«
»Wir nicht«, korrigierte Bera. »Er hat sich dafür ent schieden. Auf die gleiche Weise, wie sich Menschen schon immer verunstaltet haben, indem sie sich aus modischen Gründen zum Beispiel Löcher ins Fleisch gebohrt oder Gegenstände darin befestigt haben. Wenigstens erfüllt Yngis Verunstaltung einen nützlichen Zweck. Zwischen einem zahmen Snawk und seinem Halter besteht ein empathisches Band. In der Wildnis fressen sie viel mehr, deshalb sind gezähmte Snawks im Vergleich zu ihren frei lebenden Artgenossen regelrechte Zwerge.«
Karl blieb weiter reglos auf der Stelle stehen, die Arme seitlich ausgestreckt, den Kopf in den Nacken gelegt.
Bera stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. » Was tust du da?«
Endlich sah der Fremde sie wieder an. Seine Augen schimmerten erneut dunkel im Sonnenlicht, und plötzlich wirkte er absolut unmenschlich auf sie. »Es ist also ein Bonsaivogel.«
»Dieser da ist ungefähr halb so groß wie normal«, sagte Bera, verwirrt durch den unbekannten Begriff. »Wilde Snawks haben eine Flügelspanne von mehreren Metern.« Sie näherte sich Karl zögernd. Seine Haut hatte sich etwas verdunkelt, und sie erschauderte.
»Selbst dieses schwache Sonnenlicht hilft«, murmelte er. »Als ich durch den Weltraum getrieben bin, hat das Lebenserhaltungsgel fast das gesamte Sonnenlicht blockiert. Es ist eine fehlerhafte
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