Gesund durch Meditation
dass sie mehr als ihr Leiden, ihr Schmerz, ihre Krankheit sind.
Diese Einsichten gehören nicht der Ebene abstrakten Philosophierens an. Sie haben ganz konkrete, praktische Auswirkungen und sind eine unmittelbare Voraussetzung für die Fähigkeit, mit seelischem Leiden und starken Emotionen – eigenen wie fremden – umzugehen, wo und wann immer das Leben eine unerwartete Wendung nimmt und sich plötzlich ein Abgrund auftut, ob an der Arbeitsstelle oder im eigenen Zuhause, im Arztzimmer oder auf der Intensivstation. Wenn es gelingt, in Situationen wie diesen für die eigene geistige Verfassung die Verantwortung zu übernehmen, zeigen sich damit auf trostreiche Art Brücken und Wege, wo es zuvor nur unüberwindliche Barrieren, alles verschlingende Angst, zerstörte Hoffnungen und wegbrechende Perspektiven zu geben schien.
Wenn Sie im Angesicht von Leid und Bedrohung in die eigene Mitte finden, zu dem Ort, an dem Stille und Klarheit herrschen, sind Sie damit weniger anfällig für die Angst und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Mitten im Schmerz finden Sie zu Ihrer Handlungskompetenz zurück, versichern Sie sich der Unversehrbarkeit Ihres Wesens, tun Sie einen Schritt in Richtung Heilung.
Auf die Gangbarkeit dieses Weges zu verweisen bedeutet nicht, Schmerz und Leid zu relativieren. Dafür sind sie viel zu real. Vielmehr soll es heißen, dass wir, noch während heftige Gefühle uns bedrängen oder die Last einer anhaltend trüben Stimmung uns niederdrückt, auch das Wissen um eine andere Dimension in uns tragen. Es ist die Gewissheit, dass unsere innere Stärke und unsere Fähigkeit zu Reifung und Veränderung, zur Überwindung von Leid und schwerem Verlust keine zufälligen und von äußeren Faktoren abhängigen Größen sind. Sie sind von Anfang an in uns angelegt und stehen uns hier und jetzt zur Verfügung.
Problemorientiertes Vorgehen – emotionsorientiertes Vorgehen
In Augenblicken emotionalen Aufruhrs oder Schmerzes kann es eine ausgesprochen therapeutische Wirkung haben, mehrgleisig vorzugehen und sowohl auf der emotionsorientierten als auch auf der problemorientierten Ebene eine Lösung anzustreben, das heißt, sich seiner Gefühle und Gedanken bewusst zu werden
und
zugleich mit der Situation zu arbeiten. Um mit stark stressbetonten und bedrohlichen Situationen zweckmäßig umgehen zu können, ist dieses simultane Vorgehen sogar unerlässlich.
Beim
problemorientierten
Vorgehen versuchen wir, Wesen und Ausmaß des Problems klar und möglichst unabhängig von Gefühlen zu erfassen – etwa so wie beim Neun-Punkte-Problem aus Kapitel 12 . Wir versuchen zu erkennen, welche Aufgaben sich stellen, welches Vorgehen in Frage kommt, welche potenziellen Hindernisse es gibt und welche inneren oder äußeren Potenziale uns zu seiner Lösung zur Verfügung stehen. Ein solches Vorgehen setzt unter Umständen voraus, völlig Unbekanntes auszuprobieren, sich bei anderen Rat und Hilfe zu holen oder auch neue Fähigkeiten zu erwerben. Wenn man ein Problem in seine Teilaspekte zerlegt und diese einen nach dem anderen bearbeitet, wird man feststellen, dass man auch in Zeiten emotionaler Not und Bedrängnis durchaus handlungsfähig sein kann.
Das
emotionsorientierte
Vorgehen bedeutet, genau auf die eigenen Gefühle und Gedanken zu achten und mit ihnen zu arbeiten. Wer sich darin übt, wird entdecken, dass emotionale Krisen handhabbar sind, dass es möglich ist, die Situation mitten im Aufruhr der Gefühle bewusst in eine weitere Perspektive, in den Raum des Gewahrseins zu stellen. Diese Strategie bezeichnet man auch als
Reframing
oder »Erweiterung des Bezugsrahmens«. Es gibt ein emotionsorientiertes Reframing, ein problemorientiertes Reframing und auch eine Kombination aus beiden. Ein Beispiel für die Erweiterung des Bezugsrahmens wäre, eine Problemsituation als Herausforderung oder Chance zu betrachten. Sich im eigenen Leiden bewusst zu werden, dass andere noch sehr viel schlimmer dran sind als man selbst, ist ein Beispiel für eine relativierende Erweiterung des Bezugsrahmens. Die größtmögliche Erweiterung des Bezugsrahmens aber ist die Achtsamkeit selbst, mit der man die Dinge betrachtet und annimmt, wie sie sind. Ich nenne das den » 90 -Grad-Schwenk« des Bewusstseins. [21] Die Situation steht auf einmal im weiteren Raum einsichtigen Gewahrseins, und augenblicklich erscheint alles in anderem Licht. Neue Zugangs- und Lösungswege zeigen sich, auch wenn alles genauso ist wie vorher – ausgenommen Ihr
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