Gesundheit, Herr Doktor!
etliches versäumt, mein Lieber. Es war eine schreckliche Zeit mit Bomben und so Zeugs, und den vielen Menschen, die getötet wurden. Wie Sie wissen, war ich die ganze Zeit über dabei», fügte er mit trotzigem Stolz in der Stimme hinzu. «Als Luftschutzwart. Ein kleiner Gesundheitsfehler verhinderte meinen Eintritt in die Armee. Aber was für ein großartiger Geist herrschte damals im Lande! Der Geist von Dünkirchen, der Geist von El Alamein, der Geist, der mit Freuden Einschränkungen, Rationierungen, Verdunkelungen hinnahm und in den Bunkern Lieder anstimmte...» Er summte ein paar Takte von We’ll Meet Again vor sich hin. «Wir bildeten in jenen Tagen eine große Familie, mein Lieber. Es war die größte Stunde dieses Landes. Ich wünsche allen, eine solche Stunde erleben zu können, was immer für Opfer, was immer für Nachteile damit verbunden sein mögen. So, das hätten wir also erledigt», sagte er, streckte seine Hand aus und erhob sich.
«Was soll erledigt sein?»
«Der Streik, mein guter Junge. Sie brechen ihn im Interesse des Volkes ab.»
«Das werde ich ganz gewiß nicht tun», antwortete Pip ärgerlich. «Nach all der Arbeit, die ich in den Streik investiert hab! Seit vergangenem Dienstag hab ich kaum ein Auge zugetan.»
«Ihr jungen Burschen braucht nicht so viel Schlaf wie wir Alten», fuhr Mr. Nelson freundlich fort; er erweckte dabei den Eindruck, als würde er jeden Augenblick einnicken. «Wie gut erinnere ich mich noch an die Zeit, als ich so alt war wie Sie. Monatelang hab ich nur eine Stunde in der Nacht geschlafen. Sieben Tage der Woche hab ich mich in der Fabrik abgeschuftet, um die paar Shillinge zu verdienen, mit denen ich meine arme alte Mami am Leben erhielt. Wie hart wir Nordländer in jenen Tagen doch waren, du heiliger Strohsack! Barfuß ging ich zur Arbeit. Brot und Margarine waren meine Nahrung. Heutzutage geht’s in meiner Heimat ganz anders zu, viel fortschrittlicher, möcht ich wetten. Und so habe ich alles, was es nur gibt, durchgemacht, mein guter Junge. Ich weiß, wie dem arbeitenden Volk zumute ist. Es ist an der Zeit, sich tüchtig ins Zeug zu legen. Brechen Sie also Ihren Streik ab. Gemeinsam wollen wir die Briten wieder zur Arbeit zurückführen.»
«Nein», sagte Pip.
«Weilt Ihr Mütterchen noch im Diesseits, mein Guter? Als Alterspensionistin, vermutlich? Heutzutage nennt man sie Senioren und Seniorinnen. Für mich waren sie immer nur Oma und Opa.» Er betupfte sein Auge mit einem handlich bereitstehenden Zellstofftüchlein. «Das sind jene Leute, die unter der Selbstsucht einer dauernd nichts als Lohnerhöhungen an sich reißenden Minorität leiden! Sie, die Alten, die Kranken - über die Kranken brauche ich Ihnen nichts zu erzählen —, die Behinderten, die Unterprivilegierten, die Heimatlosen, die Armen, und so weiter und so weiter.»
«Aber das sind ja genau die Leute, denen ich Gutes tun will», wandte Pip ein. «Deren Betreuung ich verbessern will, indem ich ihre Arzte im Lande zu halten und indem ich zu verhindern trachte, daß ärztliche Energien auf einige wenige privilegierte Patienten verschwendet werden.»
«Nun, mein braver Junge, ich habe jetzt eine Verabredung mit einem Botschafter, deshalb muß ich mich von Ihnen verabschieden.» Mr. Nelson warf einen Blick auf seine Uhr und stellte fest, daß die für das Interview vorgesehenen drei Minuten längst abgelaufen waren. «Halten wir die Stellung und lassen wir die Entscheidungen offen. Im Falle einer Sinnesänderung können Sie uns jederzeit anrufen. Ich bin stets erreichbar, als Diener des Volkes, der ich bin. Wollen Sie wirklich nicht das Bier und die Brötchen? Finden Sie den Weg hinaus? Hören Sie nicht etwas summen, übrigens?»
«Nein, keineswegs.»
«Ach ja, sie muß am heutigen Nachmittag entwischt sein. Wir bleiben in Kontakt», sagte er mit zermalmender Endgültigkeit.
Auf der Türschwelle sah sich Pip einer Reihe von Fernsehkameras, klickenden Objektiven und zustoßenden Mikrophonen gegenüber.
«Der Streik geht weiter», verkündete er und zog seinen Mantel enger um sich. «Ich werde unsere Kollegen von den Gewerkschaften des ganzen Landes auffordern, den Kampf der Arbeiter im Gesundheitsdienst hundertprozentig zu unterstützen.»
«Sie wollen also eine Art von Generalstreik ausrufen?» fragte ein Mann mit Mikrophon.
«So? Tu ich das?» Pip kratzte sich am Kopf. «Ja, das wird wohl sein müssen. Es muß sein. Ganz entschieden.»
Ein anderer fragte: «Wenn aber die
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