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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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kletterte sie lautlos zum Kraftwerk hinunter und achtete sorgsam darauf, immer einen Sicherheitsabstand von 100 Metern zum Zaun einzuhalten. Als sie die Straße erreicht hatte, die zum Eingangstor führte, kniete sie sich auf den Boden und lauschte auf Fahrzeuggeräusche. Um sie herum war bis auf das Zirpen der Zikaden alles ruhig. In einiger Entfernung hörte sie, wie ein Motor angelassen wurde, vermutlich ein Laster. Ein Warnsignal erklang in der nächtlichen Stille; kurz darauf öffnete sich das vergitterte Zufahrtstor. Wenig später rumpelte der Lastwagen an Emma vorbei. Es war ein Schwertransporter, mit dem die Uranbrennstäbe für das Kernkraftwerk befördert wurden. Emma rührte sich nicht vom Fleck, bis die Rücklichter des Lasters in der Dunkelheit verschwunden waren. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Luft in beiden Richtungen rein war, stand sie auf und trat einen Schritt vor. In diesem Augenblick bog ein Motorrad um die Kurve und hielt direkt auf das Kraftwerk zu. Hastig warf Emma sich zu Boden und landete unsanft auf dem Bauch.
    »Verdammter Mist«, fluchte sie leise.
    Wie alle Kernkraftwerke war auch La Reine mit voller Besetzung rund um die Uhr in Betrieb. Ständig waren fünf Teams im Einsatz. Zwei waren in Rufbereitschaft; ein weiteres Team befand sich im Training. Die Arbeitszeit war in zwei Schichten aufgeteilt: Die erste Schicht dauerte von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr, die zweite von 18.00 Uhr bis 6.00 Uhr. Unabhängig von der Tageszeit herrschte im Kernkraftwerk ständig Hochbetrieb. Emma konnte es sich nicht leisten, auch nur eine Sekunde unvorsichtig zu sein.
    Nachdem ihr Pulsschlag sich wieder normalisiert hatte, hob sie den Kopf und blickte sich in sämtliche Richtungen um. Als sie sicher war, dass weit und breit kein Fahrzeug unterwegs war, überquerte sie die Straße im Laufschritt und verbarg sich auf der anderen Seite im hohen Dünengras. In geduckter Haltung lief sie ein gutes Stück weiter und hob nur ab und zu den Kopf, um sich zu orientieren.
    Nach kurzer Zeit erblickte sie ein flaches Gebäude mit einem eigenen Sicherheitszaun, die sogenannte Baracke, in der die Schutztruppe untergebracht war. Vor dem Gebäude parkten mehrere olivgrüne Jeeps. Jedes Kernkraftwerk wurde von einer sieben bis fünfzehn Mann starken paramilitärischen Einheit bewacht. Die meisten dieser Männer waren früher beim Militär gewesen und im Umgang mit automatischen Waffen, Panzerabwehrgeschossen und tragbaren Boden-Luft-Raketen geschult.
    Emma lief an den Baracken vorbei. Die Männer hatten keinen Einfluss auf ihre taktischen Planungen und waren deshalb nicht interessant für sie. Sie dachte nicht daran, sich auf einen ungleichen Kampf mit einer überlegenen Truppe einzulassen.
    Als sie am anderen Ende des äußersten Zauns angelangt war, wurde sie mit einem fantastischen Ausblick auf die Anlage belohnt: Die Bauten erstrahlten im Mondlicht wie die Kuppeln uralter Tempel. Das Kernkraftwerk La Reine war nach dem Anschlag vom 11. September 2001 gebaut worden; deshalb waren hier die modernsten und strengsten Sicherheitsstandards berücksichtigt. Die Kuppeln bestanden aus einem Meter dicken Stahlbetonwänden, die so konstruiert waren, dass sie einem Zusammenstoß mit einem vollgetankten Passagierflugzeug standhalten konnten, das mit einer Geschwindigkeit von 700 Stundenkilometern flog. Im Inneren der Kuppeln befand sich der Reaktor, der aus einem einzigen Guss des härtesten Stahls der Welt hergestellt war. Nur ein Unternehmen weltweit war überhaupt in der Lage, diesen Stahl herzustellen: die Japan Steel Company in Hokkaido, der einstige Hersteller der weltbesten Samuraischwerter. Das Atomkraftwerk La Reine war praktisch unzerstörbar.
    Zumindest von außen.
    Alle Atomkraftwerke funktionieren nach einem relativ einfachen Prinzip: Mit Dampf werden Turbinen angetrieben; diese Turbinen wiederum bewegen die Generatoren für die Stromerzeugung. Alles, was man braucht, sind gewaltige Mengen an Wasserdampf wie bei der guten alten Dampflokomotive. Um diesen Wasserdampf zu erzeugen, benötigt man das Uranisotop 235, das besonders leicht spaltbar ist. Uran 235 wird als Alternative zu Kohle, Gas oder Öl genutzt - fossile Brennstoffe, mit denen herkömmliche Kraftwerke beheizt werden. Bei der Spaltung des Urans wird - unter anderem - Energie in Form von Wärme freigesetzt. Mit dieser freigesetzten Wärme wird der Wasserdampf für die Turbinen erzeugt. Das Prinzip ist einfach, die Technik jedoch ungeheuer

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