Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
dem Schlaf geklingelt wurde. Nach dem siebten Klingeln meldete sich eine ziemlich verärgerte Stimme.
    »Da?«, fragte der Mann mit dem Spitznamen »Der große Weiße«.
    Damit hatte sich für Graves auch diese Frage beantwortet. Der Mann war alles andere als erfreut.
    Im Grunde unterscheiden Milliardäre sich gar nicht so sehr von uns Normalsterblichen, dachte er.

49.
 
    Wie Gespenster im Halbdunkel huschten die Gestalten über die Docks. Sie sammelten Netze ein, suchten ihre Ausrüstung zusammen und wickelten Seile auf, um sich auf ihre Arbeit auf hoher See vorzubereiten. Es war noch nicht einmal fünf Uhr morgens, doch am Hafen von Civitavecchia herrschte bereits reger Betrieb.
    Die Menschen an den Docks schlafen nie, dachte Jonathan, als er am Kai entlangschlenderte. Er war müde und hungrig, und seine Hose war klamm, weil er sich zum Schlafen auf ein Feld vor den Toren der Stadt gelegt hatte. Im Norden konnte er im Frühnebel gerade noch die vor Anker liegenden riesigen Fähren erkennen, die bei Tagesanbruch in See stechen würden, um ihre Passagiere zu den Zielhäfen auf Korsika, in Frankreich und Spanien zu bringen. Im Süden lag eine Armada von Fischerbooten am Pier und bereitete sich auf den bevorstehenden Arbeitstag vor.
    Jonathan kaufte sich eine Tüte heiße, geröstete Kastanien und suchte sich einen Platz, an dem er unauffällig zwischen den vorbeieilenden Seeleuten sitzen konnte. Der Hafen kam ihm irgendwie vertraut vor, obwohl seit seinem letzten Besuch acht Jahre vergangen waren. Damals war es nicht Juli, sondern Februar gewesen. In seiner Erinnerung waren die Straßen kalt und menschenleer, und die Stadt wirkte irgendwie schwermütig - kein Ort, den man unbedingt gesehen haben musste.
    Trotzdem hatte Emma darauf bestanden, hierherzukommen.
    »Niemand übernachtet freiwillig in Rom«, hatte sie gesagt. »Viel zu teuer. Civitavecchia ist ursprünglicher. Du hast ständig das Gefühl, als könntest du hinter jeder Straßenecke Nero persönlich begegnen.«
    Inzwischen wusste er, dass ihre Gründe nur vorgetäuscht gewesen waren. Sie war nicht hierhergekommen, um sich vor überteuerten Preisen oder den Touristenschwärmen zu drücken. Im Februar gab es nicht viele Touristen. Emma war vielmehr aus denselben Gründen hierhergekommen, die sie auch vor drei Monaten nach Civitavecchia verschlagen hatten: Sie war gekommen, um jemanden zu treffen. Und Jonathan ging stark davon aus, dass der Name dieser Person mit den Initialen »S. S.« anfing.
    Er steckte sich eine Kastanie in den Mund und dachte an ihren gemeinsamen Besuch in Civitavecchia. Acht Jahre waren eine lange Zeit, und er war damals gedanklich zu sehr mit der kurzfristigen Änderung seines nächsten Einsatzgebietes beschäftigt gewesen, um in die Rolle des wissbegierigen Touristen zu schlüpfen. Wegen dieser Änderung hatten ihre Flitterwochen kürzer als geplant ausfallen müssen. Jonathan drehte sich auf seinem Sitz rum, um die Cafés und Bars an der Promenade in Augenschein zu nehmen. In keinem von ihnen brannte Licht. Die Markisen waren eingezogen, die Stühle aufeinandergestapelt und mit langen Ketten vor Diebstahl gesichert.
    Dann plötzlich entdeckte er etwas: große, bunte Buchstaben, die sich seit jenem Tag vor acht Jahren nicht verändert hatten. Als er die Buchstaben las, überflutete ihn die Erinnerung wie eine riesige Welle. Er fühlte, wie gleichzeitig Verwirrung, Zorn und eine dunkle Vorahnung in ihm aufstiegen.
    Auf dem Schild stand »Hotel Rondo«.
    Wie hatte er die Sache nur vergessen können?
 
    Emma ließ ihre Kamera auf den Tisch fallen und warf sich aufs Bett. »Und? War es nicht eine gute Idee, hierherzukommen?«
    Es war vier Uhr nachmittags. Jonathan war von einem unvermittelten Regenguss, der vom Meer aus über die Stadt gezogen war, bis auf die Knochen durchnässt. Sie hatten eine Tour durch den alten Hafen von Civitavecchia hinter sich, die selbst den hartgesottensten Touristen geschafft hätte.
    »Ich glaube, ich habe heute so viele dorische Säulen gesehen, dass es locker bis zu meinem vierzigsten Geburtstag reicht.«
    Emma gab ihm einen liebevollen Klaps auf den Arm. »Sei froh, dass ich mich habe überreden lassen, nur den wichtigsten Sehenswürdigkeiten einen Besuch abzustatten. Drei Stunden sind eigentlich gar nichts.«
    »Drei Stunden? Ich war mir sicher, dass es mindestens drei Tage waren.« Jonathan beobachtete, wie Emma ihre nassen Sachen auszog. Zuerst die Jacke, dann die Bluse, dann die Hose und zum Schluss

Weitere Kostenlose Bücher