Getäuscht - Thriller
die Socken. Nur noch in Unterwäsche, wandte sie sich zu ihm um. Sie trug bequeme Damenunterwäsche, aber eine Frau wie Emma hätte selbst in einem Sack sexy ausgesehen.
»Wohin guckst du?«
»Auf dich natürlich.«
»Warum?«
»Weil ich glaube, dass ich eine kleine Belohnung verdient habe. Immerhin habe ich dir aufmerksam zugehört, als du Wort für Wort aus dem Touristenführer vorgelesen hast.«
»Ach, glaubst du?«
»Allerdings. Eine Belohnung, die mich vergessen lässt, dass wir anstelle der alten Bruchbuden genauso gut auch die Sixtinische Kapelle hätten bestaunen können.«
»Dich interessieren doch nur die Abbildungen der vielen nackten Frauen.«
»Michelangelos Auge für die Schönheit war fast so gut wie meins.«
»Was du nicht sagst.« Emma warf ihm einen Blick zu, der sagte, dass er bloß ein Aufschneider war. »Also schön, wenn es das ist, was du willst«, sagte sie und ging auf sein Spiel ein. »Das kannst du haben. Und obendrein noch eine Tour quer durch die Heilige Stadt.«
»Ich platze vor Neugier.«
»Setz dich aufs Bett. Aber halte ein bisschen Abstand. Das Berühren der Stadtführerin ist nicht gestattet.«
Jonathan sprang aufs Bett und stopfte sich ein paar Kissen in den Rücken. Emma verschwand im Badezimmer. Als sie drei Minuten später wieder auftauchte, trug sie die Haare offen, sodass die feuchten Locken über ihre bloßen Schultern fielen. Vor dem Körper trug sie ein Handtuch. Eine Hand hielt sie hinter dem Rücken versteckt. »Mach die Augen zu«, sagte sie.
Jonathan tat, wie befohlen.
»Okay. Du kannst sie wieder aufmachen.«
Jonathan öffnete die Augen. Emma stand splitternackt am Fußende des Bettes. Mit der einen Hand bedeckte sie ihre Scham. In der anderen Hand hielt sie einen roten Apfel, den sie ihm entgegenstreckte. Sie verkörperte die Eva aus der Sixtinischen Kapelle.
»Adam hatte nicht die geringste Chance«, sagte Jonathan. »Wie genau hat das noch mal mit dem Sündenfall angefangen?«
Emma schnippte mit den Fingern. »Augen zu.«
Jonathan gehorchte. Als er das nächste Mal hinschaute, saß Emma auf einem Stuhl und blickte trauernd auf Jonathans nasse Bergwachtjacke, die sie kunstvoll über ihre Beine gelegt hatte. Die Traurigkeit in ihren Augen überraschte Jonathan. »Du bist Maria. Ich meine, die Pieta«, sagte er.
»Sehr gut.« Emma sprang vom Stuhl auf. »Einmal noch.«
Jonathan schloss zum dritten Mal die Augen. Als sie ihn aufforderte, sie wieder zu öffnen, sah Jonathan, dass sie auf dem Stuhl stand. Das eine Bein hatte sie verführerisch auf die Armlehne gestellt. Mit den Händen hatte sie ihr Haar kunstvoll auf dem Kopf drapiert.
»Geburt der Venus«, sagte er.
»Falsch. Das Bild hängt im Louvre.«
»Ist es von Caravaggio?«
»Nein.«
»Keine Ahnung. Ich bin Arzt. Ich verbringe meine gesamte Zeit mit dem Studium von Büchern über Anatomie und nicht mit dem Studium von Kunstgeschichte. Ich gebe mich geschlagen.«
Emma kroch zu ihm aufs Bett und kuschelte sich an ihn. »Emma Rose Ransom. Miss Februar. Dein ganz privates Meisterwerk.«
Danach lagen sie eng umschlungen zwischen den zerwühlten Laken. Der Regen hatte erneut eingesetzt und trommelte laut an die Fenster.
»Warum ausgerechnet Belgrad?«, wollte Emma wissen. »Alles andere wäre mir lieber gewesen. Es ist nicht fair.«
»Wir machen nur Station in Belgrad. Danach geht's weiter in den Kosovo, eine serbische Provinz. Und wir bleiben nur ein paar Monate.«
»Aber es ist ein gefährliches Pflaster. Ich habe die Nase voll von Kugelhagel und Handgranaten.«
»Der Krieg ist zu Ende«, sagte Jonathan und stützte sich auf einen Ellenbogen. »Wir helfen den Menschen, wieder auf die Beine zu kommen. Die Hälfte der ortsansässigen Arzte hat das Land verlassen. Außerdem bleiben wir nur drei Monate. Danach reisen wir wie geplant nach Indonesien.«
»Sie hätten uns wenigstens die Zeit lassen können, unsere Flitterwochen zu beenden. Irgendeine Krise gibt es immer. Kommen die ohne uns denn nicht mal vierzehn Tage zurecht?« Emma stieg aus dem Bett und ging ins Bad. Kurz darauf kam sie vollständig angezogen wieder heraus. »Ich gehe noch mal los«, sagte sie. »Soll ich dir irgendwas mitbringen?«
»Bei diesem Regen?«
Emma warf einen Blick aus dem Fenster. »So schlimm ist es gar nicht.«
»Verglichen mit was? Mit der Sintflut?«
»Wirst du jetzt religiös?«
»Eine solche Frage aus dem Munde von Eva, das soll schon was heißen.« Jonathan lachte leise, während er die Decke
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