Getäuscht - Thriller
Weg. Die Polizisten stiegen mit gezückten Waffen aus und verschanzten sich hinter den geöffneten Türen. Jonathan wich nach links aus. Seine Arme und Beine schmerzten von den Anstrengungen der Flucht. Er bahnte sich einen Weg durch den überfüllten Fußweg, bis er den breiten Kai erreichte, an dem auf beiden Seiten ein Kreuzschiff lag. Unvermittelt fand er sich an einer menschenleeren Stelle wieder. Es war beinahe so, als wäre er im Auge eines Taifuns. Hinter ihm und vor ihm drängten sich die Menschenmassen, aber nirgends konnte er einen Polizisten mit blauer Uniform entdecken.
Wenn du gehst, beachtet dich niemand, hatte Emma ihm einmal gesagt. Wenn du rennst, bist du für alle sichtbar das Opfer.
Jonathan unterdrückte den übermächtigen Fluchtinstinkt und ging mit langsamen Schritten weiter. Links von ihm befand sich eine Gangway, über die zahlreiche Touristen aus dem Inneren eines der Kreuzfahrtschiffe auf den Kai strömten. Rechts von ihm holten Matrosen Gepäckstücke aus dem Frachtraum des anderen Schiffes und stellten sie in einer ordentlichen Reihe ab.
Jonathan ging bis zum Ende des Kais. Ungefähr zwei Meter darunter befand sich ein zweiter Steg, von dem aus in regelmäßigen Abständen Leitern bis ins Wasser führten. Jonathan wusste, dass dieser zweite Steg von Hafenarbeitern und Schiffsleuten zur Wartung der vor Anker liegenden Schiffe benutzt wurde. Jonathan hielt sich mit einer Hand am Kai fest, sprang auf den Steg darunter und verbarg sich zwischen den hölzernen Stützpfeilern, die mit Muscheln bewachsen waren und vom Wasser umspült wurden. Aus dem Dunkel vor ihm starrten ihn die funkelnden Augen einer großen Ratte an. Jonathan verfiel erneut in einen leichten Laufschritt und drehte sich alle paar Meter nach möglichen Verfolgern um.
Plötzlich entdeckte er direkt vor sich das perfekte Versteck.
Neben dem Steg schaukelten rechts und links Schwimmkörper auf dem Wasser, die als Puffer für den Rumpf der Ozeanriesen dienten, wenn diese im Hafen vor Anker lagen. Die runden, ungefähr drei Meter hohen Schwimmkörper hatten einen Durchmesser von fünf, sechs Metern und waren innen hohl. Jonathan zog einen der Schwimmkörper zu sich heran und kletterte hinein. Mit unsicheren Schritten tastete er sich bis zur Mitte vor, setzte sich hin und rührte sich eine Stunde lang nicht vom Fleck. Während er wartete, lauschte er auf die Sirenen, die mal lauter, dann wieder leiser wurden, und auf die lauten Stimmen der Polizisten, die ab und zu bis an sein Versteck drangen. Schließlich wurde es still auf dem Kai.
Jonathan zwängte sich aus dem Schwimmkörper und ließ sich lautlos ins warme, schmutzige Wasser gleiten.
Dann holte er tief Luft und tauchte unter.
Kate Ford stand auf dem Kai, die Hände in die Hüften gestemmt. Eine halbe Stunde war seit Ransoms halsbrecherischer Flucht über die Autobahn und die Landebrücke vergangen. Trotz der systematischen Suche von mehr als fünfzig Polizeibeamten schien er wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Inzwischen wurden sogar alle vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffe durchsucht. Polizeiboote fuhren das gesamte Hafenbecken ab. Doch Kate hatte nicht viel Hoffnung, dass Ransom wieder auftauchte.
»Er ist weg«, sagte sie.
Der Tenente der Carabinieri schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein«, sagte er. »Wir haben ihn eingekreist.«
»Er ist ins Wasser gesprungen und aus dem Hafenbecken geschwommen«, meinte Kate.
»Bei den vielen Schiffen?«, fragte der Beamte und starrte beinahe ehrfürchtig auf die Ozeanriesen zu beiden Seiten des Kais. »Das ist viel zu gefährlich.«
Nicht, wenn es keinen anderen Ausweg gibt, dachte Kate.
»Kommen Sie«, sagte sie. »Ransom war bereits vor uns in der Stadt. Er hat hier seine Frau gesucht. Jemand muss ihn gesehen, vielleicht sogar mit ihm gesprochen haben.«
»Wo sollen wir anfangen?«
Kate faltete das Aufnahmeprotokoll aus dem Krankenhaus auseinander. Sie suchte mit dem Finger nach der Spalte, in der stand, wo der Rettungswagen die Frau aufgenommen hatte, die sich Lara nannte.
»Im Hotel Rondo«, sagte sie.
54.
Die Büroräume der Internationalen Gesellschaft für Nukleare Sicherheit befanden sich in der siebenundzwanzigsten Etage eines Wolkenkratzers in Europas größter Bürostadt La Défense in Paris. Sowohl private Unternehmen als auch Regierungsbehörden und Militärs konnten hier das gesamte Spektrum hochmoderner Sicherheitslösungen kennen lernen. Doch die Gesellschaft hatte sich, wie der Name
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