Getäuscht - Thriller
London.«
»In London?«
Emma räusperte sich und wich seinem Blick aus. Sie hatte erfahren, was sie wissen wollte. Der Diebstahl der Codes war noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Wie erwartet wurde dieser Vorfall als interne Angelegenheit behandelt, die die Internationale Atomenergieorganisation und die Stromanbieter untereinander regeln mussten. In Frankreich war dieser Anbieter die Électricité de France. Andere Firmen und Gesellschaften wurden nicht mit eingeweiht. Die Angelegenheit bot einfach zu viel Zündstoff.
»Was ist denn in London vorgefallen?«, hakte Bertels nach. »Sprechen Sie von dem Bombenanschlag auf Iwanow? Bei mir klingelte das Telefon den ganzen Tag Sturm.«
»Ich darf mich nicht dazu äußern. Sollte es Sie und Ihre Gesellschaft in irgendeiner Weise betreffen, werden Sie beizeiten informiert.«
Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Die Büroräume befanden sich hinter einer blickdichten Glastür. Bertels legte eine Hand auf einen biometrischen Scanner. Das rote Licht wechselte auf Grün. Er nannte seinen Namen. Ein weiteres grünes Licht leuchtete auf. Mit einem lauten Klicken wurde das Sicherheitsschloss freigeschaltet. Bertels öffnete die Tür. »Hier entlang, bitte.«
Emma hatte die doppelten Sicherheitsmaßnahmen aufmerksam zur Kenntnis genommen. Ein Handflächenscanner gekoppelt mit einem Stimmenanalysator war ungewöhnlich, und alles, was neu oder ungewöhnlich war, stellte ein Problem dar. Sie folgte Bertels, der durch einen geschäftigen Flur lief, bis er sein Büro erreichte. Es war großzügig und durchdacht möbliert. Vom Fenster aus hatte man einen Blick auf den Eifelturm, das Champ de Mars mit dem Invalidendom und Notre Dame.
»Ihre persönlichen Daten wurden mir von Wien aus zugeschickt«, sagte Bertels und setzte sich hinter einen Schreibtisch aus Edelmetall und Glas. »Ich habe mir die Freiheit genommen, die erforderlichen Formulare bereits im Vorfeld auszufüllen. Werfen Sie doch bitte einen Blick darauf und überprüfen Sie, ob alle Angaben korrekt sind.«
Emma setzte eine Lesebrille auf und legte die Mappe auf ihre Knie. Auf dem Formular mit der Überschrift »Antrag auf einen allgemeinen Arbeitsausweis« befand sich das Logo der Électricité de France, der Energiegesellschaft, die die französischen Kernkraftwerke betrieb. In Fachkreisen hieß dieser Ausweis kurz Nuklearpass. Mit diesem Ausweis konnte man jedes Kernkraftwerk ohne vorherige Ankündigung und Begleitpersonal betreten. In der Atomindustrie arbeiteten die Ingenieure meist an hochspezialisierten Arbeitsplätzen in verschiedenen Kernkraftwerken. Ein Ingenieur, der zum Beispiel auf das Hoch- und Herunterfahren eines Reaktors spezialisiert war, musste damit rechnen, innerhalb eines Jahres in zehn verschiedenen Kernkraftwerken zu arbeiten. Für einen Computerexperten waren es sogar noch mehr Einsätze. Es war viel zu zeitaufwendig und kostenintensiv, die Überprüfung der einzelnen Arbeiter den Kraftwerken selbst zu überlassen. Deshalb mussten alle Angestellten in der französischen Atomindustrie einen entsprechenden Antrag bei der IGNS stellen und erhielten dann eine Art Freifahrtschein - den »Nuklearpass«, der ihnen den Zugang zu allen Kernkraftwerken des Landes ermöglichte.
Emma legte den Finger an die Schläfe und tippte unauffällig auf den Bügel ihrer Brille. Bei jedem Schlag knipste eine Miniaturkamera, die als Schraube getarnt war, ein Foto von den Formularen, die sofort an einen Server weitergeleitet wurden, dessen Position nicht einmal sie kannte. Emma überflog die Seiten und überprüfte Name, Adresse, Telefonnummer, Sozialversicherungsnummer und alle weiteren Angaben zu ihrer Person.
»Eine Information fehlt uns leider noch«, sagte Bertels. »Wir haben sie erst kürzlich zum Antrag hinzugefügt.«
»Ach ja?«, sagte Emma, ohne aufzublicken. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
»Es geht um den Namen Ihrer Eltern und deren derzeitige Adresse.«
»Sie sind verstorben«, erwiderte Emma. »Ich bin sicher, das steht auch in meinen Unterlagen.«
Bertels überprüfte den Bericht mit den Angaben zu ihrer Person. »Paul und Petra, nicht wahr?«
Emma musterte ihn scharf. »Meine Eltern hießen Alice und Jan.«
Bertels wich ihrem Blick nicht aus. »Das ist richtig.«
Emmas Auftraggeber war dieses Gespräch mindestens hundertmal mit ihr durchgegangen. Sie hatte sofort durchschaut, dass die Frage ein Test gewesen war und kein Bestandteil der Überprüfung ihres persönlichen
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