Getäuscht - Thriller
schon verriet, besonders auf einen Bereich spezialisiert: die Überwachung und den Schutz von Kernkraftwerken.
Beim Neubau eines Kernkraftwerks war die Gesellschaft für sämtliche Fragen der Sicherheit zuständig. Sie entwickelten und realisierten die Sicherheitsmaßnahmen, die vom Betreten bis zum Verlassen des Kernkraftwerks wirksam waren (Alarmanlagen, Kameras, biometrische Überwachungssysteme und Ähnliches), ebenso wie die Internetsicherheit, den Schutz der Angestellten und des Sicherheitspersonals im Kraftwerk, und natürlich die Überwachung aller heiklen Betriebssysteme einschließlich der Lagerung verbrauchter Brennelemente. Man konnte ohne Übertreibung sagen, dass nahezu jeder große westliche Stromlieferant sich darauf verließ, dass die IGNS die Sicherheit und den reibungslosen Betrieb seiner Kernkraftwerke garantierte. Bis heute war ihr Vertrauen in das Unternehmen nicht enttäuscht worden. Kein Kernkraftwerk, das mit dem Siegel der Internationalen Gesellschaft für Nukleare Sicherheit ausgezeichnet worden war, hatte jemals einen Unfall gemeldet, nachdem es abgeschaltet oder gar geschlossen werden musste.
Emma Ransom ließ sich dies alles durch den Kopf gehen, als sie den großen Platz vor dem Gebäude überquerte. Kurz bevor sie die Eingangstüren erreichte, zog sie sich ihre Jacke zurecht und strich ihren Rock glatt. Das schwarze Kostüm bestand aus einem sehr kurzen Rock und einer tief ausgeschnittenen Jacke. Dem Label zufolge war es die Kopie eines Kostüms von Dior. Es traf genau Papis Geschmack.
Emmas Haare waren geglättet, auf Schulterlänge gekürzt und schwarz getönt. Sie trug braune Kontaktlinsen und zehn Zentimeter hohe Absätze, weil Anna Scholl braune Augen hatte und knapp eins achtzig groß war. Als Emma die Glastüren öffnete und das klimatisierte Erdgeschoss betrat, fürchtete sie nicht, als Betrügerin entlarvt zu werden. Sie befürchtete nur, sie könnte auf ihren halsbrecherischen Absätzen stolpern und auf ihrem billig ausstaffierten Hintern landen.
»Anna Scholl«, sagte sie und zückte den gefälschten Ausweis, der sie als Mitglied der Internationalen Atomenergieorganisation auswies. »Ich bin mit Pierre Bertels verabredet.«
Der Wachmann starrte auf ihre Brüste, als wollte er Anna Scholl anhand ihrer Körbchengröße identifizieren. Dann schrieb er ihren Namen auf eine Besucherliste und führte ein kurzes Telefonat. »Es dauert nur eine Minute. Er kommt sofort runter. Würden Sie sich bitte schon mal diesen Ausweis umhängen?«
Emma zog das Band mit dem Ausweis über den Kopf und wartete. Die angekündigte Minute verstrich, dann noch eine. Nach zehn Minuten kam schließlich ein großer, breitschultriger Mann durch das Drehkreuz. »Ich bin Pierre Bertels. Wie geht es Ihnen?«
Emma musterte ihn verstohlen. Teurer dunkelblauer Anzug. Auffällige braune Schuhe, die so blank geputzt waren, dass man sich darin spiegeln konnte. Goldarmband am Handgelenk. Ein bisschen zu viel Gel im modisch kurzen Haar. Ungefähr zehn Kilo zu viel am ehemals ansehnlichen Körper, aber das durfte man einem Mann wie Bertels natürlich niemals sagen. Ein leichtes Hinken, das er sich nicht anmerken lassen wollte. Wahrscheinlich war er auf dem Tennisplatz gestürzt, würde aber im Notfall behaupten, dass es sich um eine alte Kriegsverletzung handelte. Außerdem hatte er einen frischen Abdruck am linken Ringfinger, von dem er sicher nach einem Blick auf Anna Scholls Foto, das ihm zusammen mit ihrer Akte gemailt worden war, vorsichtshalber seinen Ehering abgezogen hatte. Alles in allem schloss Emma, dass der Mann ein geiler Bock war, der die Blüte seines Lebens schon hinter sich hatte und sich und der Welt beweisen wollte, dass er immer noch draufgängerisch war wie eh und je. Für diese Einschätzung brauchte Emma nur eine Sekunde.
»Ich bin ziemlich in Eile«, sagte sie und verpasste damit seiner kalkulierten Herzlichkeit gleich eine herbe Abfuhr. »Ich werde in zwei Stunden am Flughafen Charles de Gaulle erwartet. Können wir dann anfangen?«
Das Lächeln auf Bertels Gesicht war augenblicklich verschwunden. »Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
Im Fahrstuhl versuchte er erneut, mit ihr ins Gespräch zu kommen. »Wie ich gehört habe, bleiben Sie eine Weile in Frankreich. An welchen Orten werden Sie sich aufhalten?«
»Sie werden sicher verstehen, dass diese Information vertraulich ist. Wir kündigen unsere Blitzinspektionen vorher nicht groß an. Besonders nicht nach dem Vorfall in
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