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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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installiert worden: eine von der Électricité der France und eine zweite von der Internationalen Atomenergieorganisation, die als unabhängige Kontrolle dienen sollte. Wie jede Instanz, die für die Überwachung der Sicherheit in einem Kernkraftwerk zuständig war, wollte auch die IAEO sich nicht allein auf die Angaben des Stromriesen verlassen.
    Mit ihrem Handy rief Emma die technischen Pläne auf, auf denen die Verbindungskabel eingezeichnet waren, die die Bilder aus den Überwachungskameras in die zentrale Steuereinheit einspeisten. Die Bilder von den Überwachungskameras der IAEO und von den Überwachungskameras der Électricité de France wurden über zwei unterschiedliche Glasfaserkabel übertragen. Emma musste dafür sorgen, dass niemand sie bei ihrem Rundgang durchs Gebäude beobachten konnte; also durchtrennte sie das Kabel, das die Bilder von den Überwachungskameras der Stromgesellschaft übertrug, und verband es mit dem Kabel der IAEO-Kameras. Dann blickte sie auf die Monitore und stellte zufrieden fest, dass die Bilder vollkommen identisch waren.
    Als Nächstes unterbrach Emma die Liveübertragung, sodass auf den Monitoren nur noch ein Standbild zu sehen war. Dann überprüfte sie die Bilder auf den Monitoren auf verräterische Anzeichen für ihre Sabotage. Auf zwei Bildschirmen waren Personen zu erkennen. Auf dem ersten Monitor sah man den Wachmann an der Zufahrtsstraße zum Kernkraftwerk. Er saß in seinem Wachhäuschen am äußeren Schutzzaun. Es war durchaus realistisch, dass er über eine längere Zeit regungslos sitzen blieb. Dieser Bildschirm dürfte also kein Problem darstellen.
    Auf dem anderen Bildschirm sah man vier Männer vor einer großen Steuerungszentrale im Reaktorkontrollraum. Dieser Monitor stellte schon eher ein Problem dar. Wenn jemand das Bild ein paar Sekunden lang betrachtete, würde ihm auffallen, dass hier etwas nicht stimmte. Vier Leute standen nicht einfach regungslos herum wie Schaufensterpuppen. Aber bei hundertachtundvierzig anderen Monitoren konnte es schon eine Weile dauern, bis man auf dieses eine Bild stieß.
    Emma blieb jedenfalls nicht die Zeit, die Standbilder auf den Monitoren neu einzustellen. Das hier musste fürs Erste genügen.
    Sie verließ den Raum und eilte zu Grégoires Büro zurück. Hastig verstaute sie die Werkzeuge in ihrer Handtasche. Sekunden später öffnete sich die Tür, und Alain Royale kam herein, ein paar Notizhefte unter dem Arm. »Die gewünschten Listen«, verkündete er.
    »Legen Sie sie bitte auf den Schreibtisch«, sagte Emma.
    Royale tat wie geheißen.
    »Noch immer keine Nachricht von Monsieur Grégoire?«, fragte Emma.
    Royale schüttelte den Kopf.
    »Sie werden verstehen, dass ich nicht länger warten kann«, sagte Emma mit Nachdruck. »Ich beginne gerne während des Schichtwechsels mit den Inspektionen. Ich kann nicht riskieren, dass meine Anwesenheit sich im Werk herumspricht.«
    »Ich bin sicher, dass Monsieur Grégoire jeden Moment hier eintrifft. Er würde Sie sicher gerne persönlich begrüßen.«
    »Dazu haben wir nach Abschluss meiner Inspektion bestimmt noch ausreichend Gelegenheit«, erwiderte Emma. »Sollte er mich vorher sprechen wollen, wird er sicher wissen, wo ich zu finden bin.«
    Alain Royale reichte Emma den Werksausweis und wies sie an, ihn während ihres gesamten Aufenthalts im Kraftwerk gut sichtbar um den Hals zu tragen. »Und hier ist Ihre Schlüsselkarte. Zum Öffnen der Türen ziehen Sie sie bitte mit einer raschen Bewegung durch die Türschlösser. Benötigen Sie sonst noch etwas?«
    »Nein, danke«, sagte Emma und steckte die Karte in ihre Tasche. Durch das Fenster hatte sie einen unverstellten Blick auf die große Reaktorkuppel und das Meer im Hintergrund. »Ich habe alles, was ich brauche.«

69.
 
    In London ging die Sonne fünf Minuten früher auf, um genau 5.40 Uhr. In Zimmer 619 auf der Intensivstation des St. Catharine's Hospital stahlen sich die ersten Sonnenstrahlen durch einen Spalt in den zugezogenen Vorhängen und fielen auf eine Augenbraue des schlafenden Patienten. Es war ein Mann mit harten Gesichtszügen, zerzaustem schwarzem Haar, Adlernase und Bartstoppeln auf den eingefallenen Wangen. Selbst im Schlaf besaß er noch eine beeindruckende Präsenz. Er wirkte wie ein Raubtier, das jeden Moment erwachen, aufspringen und angreifen konnte. Jeder auf der Station kannte diesen Mann und seinen Ruf, und alle nahmen sich vor ihm in Acht.
    Aber der Patient rührte sich nicht. Die Minuten dehnten sich.

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