Getäuscht - Thriller
ihre gemeinsame Zukunft entschied. Sie konnte nicht einfach auftauchen und wieder verschwinden, wann es ihr passte.
Plötzlich entdeckte er Emmas Handy, das halb unter dem Sofa lag. Wahrscheinlich war es ihr aus der Hosentasche gefallen, als er sie heftig am Arm gezogen hatte. Er hob es auf, warf einen raschen Blick zur Badezimmertür und drückte auf Wahlwiederholung. Die Nummer des letzten Anrufers erschien im Display. Es war eine SMS, in der stand: »Paket zur Abholung bereit. ETA 11.15 Uhr. Parkplatz reserviert. LT 52 OCX Vxhl. Treffpunkt WS 17.00 Uhr.«
Er blätterte durch die Liste der eingegangenen Anrufe und entdeckte erneut die Nummer neben einer Reihe anderer Nummern mit dem Vermerk »gesperrt«. Ein paar Nummern darunter entdeckte er eine vertraute Ländervorwahl: 33 für Frankreich. Die Städtevorwahl sagte ihm nichts. Jonathan klickte auf die Nummer und sah, dass der Anruf vor einer Woche eingegangen war.
Aus dem Bad erklangen laute Geräusche. Hastig legte er das Handy zurück unters Sofa und tat so, als würde er sich anziehen. Eine Sekunde später erschien Emma im Wohnzimmer und blickte sich entnervt um. »Wo ist mein Handy?«
»Keine Ahnung.«
»Blödsinn. Du hast es mir weggenommen.«
Jonathan bestritt das heftig, aber Emma beachtete ihn gar nicht. Sie stapfte an ihm vorbei und hob das Handy von seinem Platz unter dem Sofa auf. »Schwöre, dass du es nicht genommen hast. Dann glaube ich dir.«
»Ich schwöre«, log Jonathan.
»In Ordnung«, sagte Emma und entspannte sich. »Glaub mir, es ist besser so.«
Jonathan starrte sie wortlos an.
»Ich werde dir sagen, wo ich hingehe«, fuhr sie fort.
»Warum dieser Sinneswandel?«
Emma kam zu ihm und legte kokett den Kopf zur Seite. »Ich will nicht, dass wir uns im Streit trennen. Der Anruf kam von einem Freund. Von jemandem, der mich beschützt. Er hat arrangiert, dass ich England heute Vormittag verlassen kann. Um zehn Uhr startet meine Maschine vom Londoner Flughafen. Zuerst fliege ich nach Dublin. Aber da bleibe ich nicht lange. Wie es weitergeht, weiß ich noch nicht genau.«
»Ich schätze, mehr kann ich nicht von dir erwarten.« In Jonathans Kopf wirbelten Fragen über Fragen. Was war mit dem »Paket« gemeint gewesen? Wer sollte um 11.15 Uhr ankommen und wo? Was bedeutete LT 52 OCX? Wofür standen die Initialen WS? Und wen sollte Emma um 17.00 Uhr treffen?
Emma blickte ihn an, Tränen in den Augen. Es war ihre Art, ihn um Verzeihung zu bitten. Sie legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. »Ich liebe dich«, sagte sie. »Ganz gleich, was du in Zukunft über mich erfährst, ganz gleich, was die Leute über mich reden, denk immer daran.«
Jonathan nahm sie in die Arme und hielt sie fest. Nach einer Weile löste Emma sich von ihm. Schweigend beobachtete er, wie sie ihre Sachen zusammensuchte und ohne ein Wort des Abschieds das Hotelzimmer verließ.
15.
Acht Jahre lang hatte Jonathan in einer Scheinwelt gelebt. Vor acht Jahren hatte er eine Frau geheiratet, die er liebte und der er blind vertraute; aber er hatte nicht das Geringste über sie gewusst. Er hatte stillschweigend akzeptiert, wenn Emma zu einem ihrer zahlreichen Kurztrips aufbrach, ohne Angaben darüber zu machen, wohin sie eigentlich fuhr. Wenn sie in einen Nachtzug stieg, um irgendwo in Mombasa eine Warenlieferung Chinin abzuholen, zweifelte er nicht daran. Wenn sie zwei Tage nach Venedig wollte, um dort mit einer Freundin ein wenig auszuspannen, hatte er nichts dagegen. Er hatte ihre Pläne nie in Frage gestellt. Sein Vertrauen in sie war grenzenlos gewesen.
Doch vor fünf Monaten hatte er herausgefunden, dass sie ihn von vorne bis hinten belogen hatte. Nicht nur die Reisen nach Mombasa und Venedig waren Lügen gewesen, sondern alles an Emma - ihr Name, ihre Vergangenheit, sogar ihr angeblicher Einsatz, für eine medizinische Grundversorgung in den krisengeschüttelten Regionen der Welt zu sorgen. Schon bevor sie sich kennen lernten, hatte Emma als Agentin für die USA gearbeitet, und Jonathan hatte ihr als Tarnung gedient, ohne es zu ahnen oder auch nur den geringsten Verdacht zu schöpfen. Die vergangenen fünf Monate hatten seinen Schmerz über ihren Verrat nicht gemildert, sondern die Wunde eher noch verschlimmert. Doch auch jetzt war es nicht das Misstrauen, das Jonathan antrieb, sondern der Stolz. Acht Jahre waren mehr als genug.
Nachdem Emma das Zimmer verlassen hatte, wartete Jonathan eine Minute; dann fuhr er mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss. In der
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