Getäuscht - Thriller
Jonathan nun schon bei Ärzte ohne Grenzen, der Hilfsorganisation, die in vielen Krisengebieten der Welt medizinische Versorgung leistete. Jonathan hatte in Liberia und Darfur, im Kosovo, im Irak und in etlichen anderen Krisengebieten rund um den Globus gearbeitet. In den letzten sechs Monaten war er als Oberarzt im Flüchtlingslager Turkana an der Grenze zwischen Äthiopien und Kenia tätig gewesen. In diesem Lager hielten sich derzeit etwa hunderttausend Menschen auf. Die meisten waren aus den von Kriegen heimgesuchten Gebieten in Somalia und Äthiopien geflohen. Als einer von drei Ärzten - zudem als einziger zugelassener Arzt im Lager - hatte Jonathan sich um alles Mögliche kümmern müssen, vom gebrochenen Knöchel bis hin zur Geburtshilfe. Allein in diesem Jahr hatte er in hundertvierzig Tagen einhundert Kinder zur Welt gebracht, ohne ein einziges zu verlieren.
Im Laufe der Jahre hatte Jonathan sich zum Experten für parasitäre Erkrankungen entwickelt. Da die westliche Welt ein zunehmendes Interesse an der Bekämpfung von Seuchen in den Entwicklungsländern zeigte, waren Ärzte mit Erfahrungen auf diesem Gebiet sehr gefragt. So hatte Jonathan im Frühling eine Einladung von der Internationalen Internistengesellschaft erhalten, verbunden mit der Bitte, auf ihrem nächsten Kongress einen Vortrag über sein Spezialgebiet zu halten. Jonathan trat nicht gerne als Redner auf, hatte aber zugesagt. Es war ein wichtiges Thema und die Gelegenheit, so viele Menschen auf einer Veranstaltung zu erreichen, die großes öffentliches Interesse erregte, bot sich nicht alle Tage. Die ISIM hatte seine Reise bezahlt, den Flug gebucht und ihm ein Hotel besorgt. Ein paar Tage lang würde er zur Abwechslung in einem richtigen Bett mit sauberen Laken schlafen.
In diesem Augenblick entdeckte Jonathan die Polizeiwagen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er beobachtete, wie zwei blau-weiße Fahrzeuge der Flughafenpolizei mit Blaulicht neben der ausrollenden Maschine herfuhren. Augenblicke später schlossen sich ihnen zwei weitere Fahrzeuge an.
Jonathan ließ sich in den Sitz zurücksinken.
Aus, dachte er. Alles aus.
Sie waren gekommen, um ihn zu holen.
»Sie haben dich Tag und Nacht im Visier, aber du bemerkst sie nicht. Wenn sie ihr Handwerk verstehen, hast du nicht den Hauch einer Ahnung, dass du verfolgt wirst. Aber sie sind da. Deshalb musst du auf der Hut sein, immer und überall.«
Emma Ransom betrachtete Jonathan nachdenklich über den Tisch hinweg. Ihr lockiges rotbraunes Haar fiel offen über ihre Schultern. Das Feuer des Kamins spiegelte sich in ihren hellbraunen Augen. Sie trug eine cremefarbene Strickjacke. Ihr linker Arm steckte in einer Schlinge vor der Brust. Sie sollte den Arm so wenig wie möglich belasten, damit die Schusswunde in der Schulter heilen konnte.
Es war Ende Februar, fünf Monate vor Jonathans Flug nach London. Jonathan und Emma hielten sich seit drei Tagen in einer Berghütte hoch über dem Dorf Grimentz im Schweizer Kanton Wallis versteckt. Die Hütte war Emmas Schlupfloch, ihr Versteck, wenn es wieder mal zu brenzlig wurde.
»Wer sind ›sie‹?«, fragte Jonathan.
»Division. Sie haben ihre Leute überall. Es könnte einer der Ärzte sein, mit denen du seit Längerem zusammenarbeitest, oder jemand, den du zufällig triffst, ein UN-Inspektor, zum Beispiel, oder ein Mitarbeiter der Weltgesundheitsbehörde. Leute wie ich.«
Division war der Geheimdienst des US-Verteidigungsministeriums und Emmas Arbeitgeber. Die Organisation war für die heikelsten verdeckten Einsätze zuständig. Selbst der Kongress hatte keine Kontrolle über die Operationen. Damit hob Division sich deutlich von den anderen Geheimdiensten ab. Division-Mitarbeiter waren Spezialagenten, die von den USA ins Ausland geschleust wurden, um politische Ereignisse von manchmal globaler Bedeutung ins Rollen zu bringen - Entwicklungen, die den Interessen der Vereinigten Staaten dienten. Ihre Ziele erreichten die Division-Agenten üblicherweise durch Erpressung, Manipulation, Wahlfälschung, Zerstörung wichtiger Gebäude, Einrichtungen oder Statussymbole eines Landes, oder schlicht und einfach durch Ermordung des Staatsoberhaupts.
Sämtliche Division-Agenten arbeiteten verdeckt. Alle besaßen eine falsche Identität. Alle hatten einen ausländischen Pass. Die kürzesten Einsätze dauerten bis zu einem halben Jahr. Umfangreichere Operationen konnten zwei Jahre und mehr in Anspruch nehmen. Vor einem Einsatz unternahm Division jede
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