Getäuscht - Thriller
nur denkbare Anstrengung, um dem jeweiligen Agenten zu einem lupenreinen Ruf und Lebenslauf zu verhelfen. Sollte der Agent trotzdem auffliegen, leugneten die USA jede Verbindung und ließen ihn fallen wie eine heiße Kartoffel.
»Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt machen?«, fragte Jonathan. »Mich für die nächsten zwanzig Jahre in dieser Hütte verstecken?«
»Konzentrier dich auf die Zukunft. Sag allen, dass ich tot bin. Vergiss, dass es mich gibt.«
Jonathan stellte seinen Becher vor sich auf den Tisch. »Das kann ich nicht.«
»Du hast keine Wahl.«
Er ergriff Emmas Hand. »Das ist nicht wahr. Ich habe sehr wohl eine Wahl, genau wie du. Wir können zusammen weggehen. Wir könnten nach Afrika, Fernost oder sonst wohin. An einen Ort, an dem sie uns garantiert nie suchen.«
»Einen solchen Ort gibt es nicht«, sagte Emma. »Die Welt ist ein globales Dorf geworden. Du kannst dich nicht mehr hinter verschlossenen Türen verschanzen oder gar von der Bildfläche verschwinden. Gäbe es nur den Hauch einer Chance, würde ich bei dir bleiben. Ich will mich nicht von dir trennen, aber es gibt keinen anderen Weg für uns. Nur so können wir überleben.«
»Aber ...«
»Kein Aber. Es ist die einzige Möglichkeit.«
Jonathan wollte protestieren, doch Emma legte einen Finger auf seine Lippen. »Hör zu. Was immer auch geschieht, du darfst nur dann Kontakt zu mir aufnehmen, wenn ich es erlaube. Ganz gleich, wie sehr du mich vermisst oder wie sicher du dir bist, dass niemand dich beobachtet. Unter keinen Umständen, verstehst du? Ich weiß, dass ich das Unmögliche von dir verlange, aber du musst mir vertrauen.«
»Und wenn ich trotzdem Verbindung mit dir aufnehme?«
»Sie werden da sein. Sie werden mich eher finden als du.«
Zehn Tage zuvor waren Jonathan und Emma in die Schweiz gereist, um bei einem längst überfälligen Skiurlaub auszuspannen. In der Nähe des Furkapasses wurden sie von einem Unwetter überrascht. Bei dem Versuch, eine steile Abfahrt hinunterzujagen, brach Emma sich ein Bein und stürzte nach einer eigenmächtigen Rettungsaktion in eine Gletscherspalte. Für Jonathan hatte es keinen Zweifel gegeben, dass Emma tot war, aber er irrte sich. Tags darauf hatte er einen an seine Frau adressierten Brief erhalten. Erst durch diesen Brief war er Emmas Doppelleben auf die Spur gekommen und Hals über Kopf in eine ihm bislang verborgene Welt gezogen worden, die Emma ihm verheimlicht hatte. Die Nachforschungen, die Jonathan daraufhin auf eigene Faust anstellte, hatten in der Nähe von Zürich ihr Ende gefunden. Dabei waren vier Männer gestorben und Emma angeschossen worden.
Das war nun drei Tage her.
Jonathan drückte Emmas Hand. Sie erwiderte den Druck. Die Zärtlichkeit ihrer Geste war nicht zu verleugnen. Aber liebte sie ihn wirklich? Oder tat sie es nur aus Berechnung?
Unvermittelt stand Emma auf und durchquerte zielstrebig die Hütte. »Du hast genug Proviant für eine Woche. Rühr dich nicht von der Stelle. Niemand kennt diesen Ort. Wenn du aufbrichst, verhalte dich so, als wäre ich tot. Ich existiere nicht mehr. Schnapp dir deinen amerikanischen Pass. Geh wieder an deine Arbeit. Nimm jeden Job an, den du bei Ärzte ohne Grenzen kriegen kannst.«
»Und Division? Glaubst du, sie lassen mich in Ruhe?«
»Sie werden dich beobachten. Aber du bist nicht in Gefahr. Für sie bist du ein blutiger Amateur. Sie haben kein Interesse an dir.«
»Und wenn doch?«
»Sie wollen nicht dich, sie wollen mich.«
»Wann sehe ich dich wieder?«
»Kann ich nicht sagen. Ich muss zuerst sicher sein, dass mir nichts passieren kann.«
»Und wenn du nirgendwo sicher bist?«
Emma betrachtete ihn, und ein trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen. Es war ihre Art, ihm zu sagen, dass er keine Fragen mehr stellen sollte.
»Kannst du mir denn kein bisschen Hoffnung machen?«
»Ich wollte, ich könnte es, Jonathan.«
Mit einem Seufzer schleuderte Emma ihren Rucksack aufs Bett und stopfte ihre Sachen hinein. Der Anblick versetzte Jonathan in Panik. Er ging zu ihr. »Du kannst nicht einfach verschwinden«, sagte er und versuchte, sachlich wie ein Arzt zu klingen. Er wollte an sie als Patientin appellieren und sich nicht wie ein Ehemann anhören, der Angst hat, dass seine Frau ihn verlässt. »Du darfst deine Schulter nicht belasten, sonst könnte sich die Wundnaht wieder öffnen.«
»Darüber hast du dir vor einer Stunde noch keine Gedanken gemacht.«
»Da habe ich ...« Jonathan brach mitten im Satz ab.
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