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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Investoren versiegten. Allein in den letzten drei Monaten verlor der Rubel im Vergleich zum US-Dollar um die Hälfte an Wert.
    »Weißt du, warum ich Iwanow nach London geschickt habe?«, fragte der Präsident.
    Shvets schüttelte den Kopf.
    »Er sollte sich mit einem Konsortium europäischer Ölgesellschaften an einen Tisch setzen und versuchen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Ich hatte gehofft, er könnte sie überzeugen, erneut in unsere Wirtschaft zu investieren. In den vergangenen Jahren waren wir zu selbstsicher und arrogant. Wir haben die Geschäftsabkommen mit unseren Handelspartnern nicht eingehalten. Unsere Interessen hatten immer Vorrang. Wir wollten den größtmöglichen Gewinn einfahren. Kein Wunder, dass sie ausgestiegen sind. Ich gebe zu, dass es mein Fehler war, aber das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Iwanow hat mich davon überzeugt, dass ich meine Strategie ändern muss. Ohne die Hilfe des Westens wird es uns nie gelingen, die Ölproduktion wieder auf den früheren Stand zu bringen, geschweige denn, sie zu steigern. Ich habe Iwanow beauftragt, so weit wie möglich auf die Forderungen der großen ausländischen Ölkonzerne einzugehen. Diese Entscheidung ist in unserem Land alles andere als populär.«
    »Ach?«
    »Unsere Ölbarone sind nicht gerade versessen darauf, auch nur einen einzigen Rubel zu verschenken. Mit der Zeit sind sie fett und faul geworden und können nicht mehr zwischen ihren eigenen Interessen und den Interessen Russlands unterscheiden.«
    Shvets wusste nur zu gut, wen der Präsident meinte. Bevor jene Männer sich im privaten Sektor niederließen, hatten sie alle Karriere beim KGB gemacht. Einer von ihnen war Stationsleiter in Mozambique gewesen. Ein anderer hatte bei den Vereinten Nationen gearbeitet. Ein Dritter war Doppelagent in der russischen Botschaft in Madrid gewesen und hatte dort den Amerikanern scheinbar als unschätzbare Informationsquelle gedient. Und Shvets hatte als Chef des Direktorats S, das für Geheimdienstoperationen zuständig war, Karriere im KGB gemacht. In seinen Aufgabenbereich waren Industriespionage und ausländische Agenteneinsätze bis hin zur Planung und Durchführung von Terroranschlägen im Ausland gefallen.
    Diese Männer waren eine eingeschworene Bande von Spionen. Deshalb dachten sie nicht im Traum daran, einander zu vertrauen. Shvets wusste jetzt nur zu gut, weshalb der Präsident überall auf dem Gelände Scharfschützen postiert hatte.
    »Glaubst du, dass einer von ihnen hinter dem Anschlag auf Iwanow steckt?«, fragte er den Präsidenten.
    »Ich habe nichts Derartiges behauptet.« Aber der verbissene Gesichtsausdruck des Präsidenten strafte seine Worte Lügen. »Igor Iwanow ist ein Freund. Und ein Patriot, was man von den anderen nicht unbedingt behaupten kann. Setz alle Hebel in Bewegung, um die Attentäter ausfindig zu machen und zu bestrafen.«
    Der Präsident umarmte Shvets und küsste ihn dreimal auf die Wangen, wie es Brauch bei ihnen war. »Noch etwas, Sergei ...«, sagte er, als die beiden Männer sich eine Armeslänge entfernt gegenüberstanden. »Falls es sich bei den Attentätern um Russen handelt, werde ich mich persönlich um ihre Bestrafung kümmern.«

22.
 
    Auf der Intensivstation des Londoner St. Catharine's Hospital lag Igor Iwanow regungslos im Krankenbett. An seinem Arm hing eine Glukoseinfusion. Eine weitere Infusion gab im Stundentakt eine Dosis Pentobarbital in seine Vene ab, um das künstliche Koma zu verlängern, in das der Verletzte nach der OP versetzt worden war. Ein Blutdruckmesser am Arm überprüfte unablässig seinen Puls. Über spezielle Klammern an den Fingerspitzen wurde der Sauerstoffgehalt des Blutes gemessen. Die Hautpartien, die unter den Verbänden am Kopf und Gesicht hervorlugten, leuchteten in Schattierungen von Rot und Lila. Die Schnittverletzungen auf Stirn und Wange waren mit neunundneunzig Stichen genäht worden. Iwanow war schon vor dem Attentat kein attraktiver Mann gewesen. Bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus würde er entstellt sein - vorausgesetzt, er kam mit dem Leben davon.
    »Haben Sie eine Ahnung, wer dieser Mann ist?«, fragte die Schwester, eine Brünette mit sanfter Stimme, die Anna hieß.
    Dr. Andrew Howe, leitender Arzt der Neurologie, notierte die letzten Ergebnisse über den Zustand des Patienten in der Krankenakte. »Iwanow? Irgendein Diplomat, soweit ich weiß.«
    »Er ist ein Monster.«
    »Wie bitte?«, fragte Howe, entsetzt über den giftigen Tonfall der

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