Getäuscht - Thriller
Zeit und zog sich die Unterwäsche und Hose erst an, nachdem er sich gründlich abgetrocknet hatte. Er rasierte und kämmte sich und verließ dann das Badezimmer, um sich ein sauberes Hemd anzuziehen.
Doch während er dies alles scheinbar seelenruhig erledigte, ging ihm nur ein Gedanke durch den Kopf: Die Sache mit Emma war für ihn noch längst nicht erledigt. Das Bombenattentat war nur ein weiterer Meilenstein auf ihrem gemeinsamen Weg gewesen. Es tat nichts zur Sache, für wen sie arbeitete oder warum sie all das tat, und ob der Zweck ihre Mittel heiligte. Er, Jonathan, hatte gewusst, was sie vorhatte, und das war für ihn das Entscheidende. Ihre kriminellen Handlungen waren jetzt auch seine. Vor dem Auge des Gesetzes - und auch seiner eigenen Auffassung nach - war er dadurch zu Emmas Komplizen geworden. Es gab nur eine Möglichkeit, seinen Namen reinzuwaschen: Er musste sie aufhalten. Er musste Emma finden, bevor die Polizei sie fand.
Plötzlich fiel ihm auf, dass außer ihm und Graves niemand mehr in der Hotelsuite war.
»Wo ist Detective Ford?«, fragte Jonathan, beunruhigt von der Stille und der unfreiwilligen Zweisamkeit mit Graves.
»Sie wurde anderweitig gebraucht.«
»Ich kann mich also hier zu Ende anziehen?«
»Aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf«, sagte Graves. »Holen Sie sich ein Hemd und eine Jacke. Nun machen Sie schon.«
»Komme ich noch mal hierher zurück?«
»Das hängt ganz von Ihnen ab.«
Jonathan warf Graves einen prüfenden Blick zu. Er betrachtete die Wölbung unter dem linken Arm des Geheimdienstmannes, die fraglos von einer Waffe stammte, und die elektronische Fußfessel in Graves' Hand. Zum ersten Mal fiel Jonathan auf, dass Graves kleiner war als er selbst und ohne seinen Anzug ziemlich schmächtig wirkte. Seine Hände waren schmal und gepflegt, beinahe wie die einer Frau. Jonathan sah auch die dunklen Ringe unter Graves' Augen und die ein wenig steife Körperhaltung. Er kannte diese Anzeichen nur zu gut. Er hatte sie unzählige Male beim Blick in den Spiegel nach einer überlangen Schicht im OP-Saal an sich selbst gesehen: Graves war übermüdet und erschöpft.
Jonathan nahm ein Hemd aus dem Schrank und zog es an. Er griff auch nach einer Windjacke und legte sie über eine Stuhllehne. Dann nahm er seine Brieftasche, die auf der Kommode lag, und steckte sie in die hintere Hosentasche. Schließlich holte er sich ein Paar Socken aus der Schublade.
Graves lief wie ein rastloser Wachhund auf und ab und telefonierte dabei mit seinem Handy. »Und was haben die Kollegen vom ERT in Hampstead gefunden? Nichts? Das ist unmöglich! Mein Informant hat gesagt, dass der Wagen dort geparkt war. Er hat es selbst gesehen. Sie sollen es noch einmal überprüfen. Es muss doch irgendetwas in der Garage zu finden sein. Gibt es Kameras auf der Straße? Dann sollen sie die Nachbarn befragen. Irgendjemand muss gesehen haben, wie Leute ins Haus gegangen oder wieder herausgekommen sind. Die Besitzer machen Urlaub? In Immingham? Niemand macht Urlaub in Immingham.«
Verärgert klappte er das Handy zu und blickte Jonathan finster an. »Ihre Geschichte scheint ein Loch zu haben, Doc. Wir haben Probleme mit dem Haus im Norden der Stadt, wo Sie angeblich beobachtet haben, wie Ihre Frau den Wagen abgeholt hat. Ich frage mich, ob ich Sie gleich den Henkern übergeben oder mich an meine heilige Mission halten und Ihnen eine zweite Chance geben soll, den Weg zu Jesus zu finden und Buße zu tun.«
Jonathan schien Graves' mahnende Worte gar nicht zu hören. Er stand vornübergebeugt mit dem Rücken zu Graves und stöhnte.
»Hören Sie mir überhaupt zu?«, fragte Graves.
Jonathan gab noch immer keine Antwort. Er streckte wie ein Blinder die Hand aus und tastete nach einem Stuhl, auf den er sich schwerfällig fallen ließ.
»Was ist denn nun schon wieder?«, stieß Graves hervor, eher verärgert als besorgt.
»Es gibt ein Problem«, sagte Jonathan mit sorgenvoller Stimme.
»Da haben Sie völlig recht«, erwiderte Graves und kam näher. »Ihre Geschichte scheint nicht zu stimmen. Und wir werden uns sofort darum kümmern.«
»Ich meine mit meinem Kopf. Ich habe furchtbare Schmerzen.«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Irgendwas stimmt nicht. Ich weiß nicht, was. Ich habe entsetzliche Kopfschmerzen.« Er japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Ich kann nicht richtig sehen. Das könnte eine Folge von Dehydratation oder eine Gehirnerschütterung sein.«
»Sobald wir an die
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