Getäuscht - Thriller
ihr niemand die Hand schütteln. Man will sie eliminieren.«
»Das ist absurd.«
»Wirklich?«
Graves schien es tatsächlich die Sprache verschlagen zu haben.
»Was meine Frau heute getan hat, war unverzeihlich. Ich kann es nicht entschuldigen. Ich kann zu ihrer Verteidigung lediglich vorbringen, dass sie im Auftrag Dritter gehandelt hat. Das wissen Sie so gut wie ich. Aber ich werde Ihnen nicht helfen, Sie zu finden, Colonel Graves. Tut mir leid.«
»Was kann ich tun, um Ihre Meinung zu ändern? Wollen Sie Geld?«
Jonathan biss sich auf die Zunge. Graves musste doch wissen, dass er Emma nie für Geld verraten würde. Das Angebot war eine Beleidigung. Graves versuchte bloß, ihn abzulenken. Er wollte die Verbindung aufrechterhalten, damit das Handy geortet werden konnte.
Jonathan blickte in den Innenspiegel. Hundert Meter hinter sich entdeckte er einen Polizeiwagen. Als sie Piccadilly Circus erreichten, sah er auf der Regent Street ein zweites Polizeifahrzeug mit flackernden Blaulichtern, aber ohne Sirene. Im nächsten Moment erlosch das Blaulicht. Waren die Beamten in dem Wagen instruiert worden, keine Aufmerksamkeit zu erregen? Im Augenblick waren es nur zwei Fahrzeuge, aber weitere waren bestimmt schon unterwegs.
Es lag an Graves' Handy. Jonathan hatte nicht daran gedacht, dass der MI5 es so problemlos orten konnte wie eine Fußfessel. Er war ihnen auf den Leim gegangen.
Er legte die Hand über die Sprechöffnung. »Halten Sie hier«, wies er den Taxifahrer an.
»Ich dachte, Sie wollten zur Shaftesbury Avenue.«
»Nein. Halten Sie an.«
»Sind Sie noch da, Ransom?«, fragte Graves mit aalglatter Stimme.
»Auf Nimmerwiedersehen, Colonel.«
»Sie sind ein toter Mann.«
»Dazu müssen Sie mich erst mal kriegen.«
Es war genau 20.00 Uhr an einem lauen Sommerabend. An Abenden wie diesem war Piccadilly Circus so überfüllt wie der Times Square an Silvester. An den Gebäuden rings um den Platz hingen riesige Neonreklamen, die die Straße in schillerndes Licht tauchten. Jonathan bezahlte den Taxifahrer und stieg aus. Binnen Sekunden war er in den Menschenmassen untergetaucht. Er ließ sich mit der Menge treiben. An der Kreuzung Coventry Street überquerte er die Straße und lief in nördliche Richtung weiter. Dabei ließ er die beiden Polizeiautos, die auf dem viel befahrenen Platz langsam näher kamen, nicht aus den Augen. Im selben Moment tauchte ein weiteres Polizeifahrzeug direkt neben ihm auf. Das Fenster war heruntergelassen, und Jonathan hörte eine Stimme über Polizeifunk sagen: »Der Verdächtige hat das Taxi verlassen und ist zu Fuß unterwegs. Sofort Straßensperren auf Coventry, Piccadilly und Shaftesbury errichten. Alle verfügbaren Beamten sofort zum Piccadilly Circus. Der Verdächtige ist männlich, Weißer, achtunddreißig Jahre, eins neunzig groß, graumeliertes Haar. Zuletzt trug er ein weißes Hemd, Jeans ...«
Jonathan hatte genug gehört. Er verbarg sich tiefer in der Menschenmenge, machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück. Am nächsten Geschäft, einem Touristenladen, in dem man von T-Shirts bis zu nickenden Abbildern von Prinzessin Diana alles kaufen konnte, blieb er stehen. Er betrat den Laden, der mit behängten Kleiderständern zugestellt war. Von einem der Ständer nahm er ein schwarzes T-Shirt und suchte sich eine Baseballkappe dazu aus. Er bezahlte beides und zog es gleich an.
Jonathan war nur ein paar Minuten im Laden gewesen, doch als er wieder auf den Gehsteig trat, wimmelte es auf dem Platz von Polizisten. An sämtlichen Zufahrtsstraßen zum Piccadilly Circus wurden Sperren errichtet. Wie der Autoverkehr verlangsamte sich auch das Tempo der zahlreichen Fußgänger. Die Luft vibrierte vor Anspannung.
Jonathan sah zwei Polizisten mit orangefarbenen Neonwesten, die auf ihn zukamen. Sie betrachteten aufmerksam die Gesichter der entgegenkommenden Passanten. Jonathan warf einen Blick zurück und erspähte vier Polizeihelme hinter sich. Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte. Erst einmal blieb er stehen und sah in das Schaufenster des Geldwechselbüros, vor dem er stand. Das Büro war geöffnet; vor dem Schalter hatte sich eine lange Schlange gebildet. Jonathan stellte sich ans Ende der Schlange, vergrub die Hände in den Taschen und blickte starr geradeaus. Er stellte sich vor, wie die Polizisten immer näher kamen. Seine Nackenhaare richteten sich auf.
Vor ihm stand ein älterer Mann, der gerade damit beschäftigt war, die Münzen in seinem Portemonnaie zu
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