Getäuscht - Thriller
Hamburg.«
»Ich weiß. Deshalb dachte ich, ich steige besser aus.« Jonathan blickte kurz in Richtung der Polizisten. »Prego, signor.«
»Woher kommen Sie?«, fragte der Italiener mit gedämpfter Stimme.
Das war sie, die alles entscheidende Frage. Schon seltsam, dachte Jonathan, dass ein Mann, der praktisch nirgendwo zu Hause ist, auf eine solche Frage Antwort geben muss. »Amerika.«
Aus dem Augenwinkel sah Jonathan, wie einer der Polizisten näher kam.
»Ça va, monsieur?«, wandte er sich an den Fahrer.
Der schniefte laut und sagte, ohne den Blick von Jonathan zu wenden: »Tout va bien.«
»Vous êtes certain?«
»Oui.«
Der Fahrer ging erneut in die Hocke und schraubte das Ventil am Hinterreifen auf. Als Jonathan an ihm vorbei wollte, blickte er auf. »Für einen Ami ist Ihr Italienisch gar nicht mal so übel«, sagte er auf Englisch. »Und jetzt verschwinden Sie.«
»Danke.«
Jonathan lief auf den Kiosk zu. Bei jedem Schritt rechnete er im Stillen damit, dass die Polizisten ihn aufforderten, stehen zu bleiben. Dann würden sie ihn nach seinem Ausweis fragen und feststellen, dass er keinen Pass hatte. Sie würden seinen Führerschein einbehalten, ihn bitten, im Polizeiwagen Platz zu nehmen und seine Personalien überprüfen. Das wäre das Ende seiner Flucht.
Aber die Polizisten ließen ihn ziehen.
Jonathan war noch immer auf freiem Fuß. Zumindest für den Augenblick.
Im Kiosk besorgte er sich einen Rasierer und Rasierschaum, zwei Orangen, ein Salami-Sandwich, eine Flasche Mineralwasser und eine Zahnbürste mit Zahnpasta. Der Kiosk befand sich in einer größeren Einkaufsgalerie, die quer über die Autobahn gebaut war. Es gab noch ein Restaurant, ein Bekleidungsgeschäft, einen Laden für Elektroartikel und etliche Zigarettenautomaten. Jonathan betrat das Bekleidungsgeschäft und besorgte sich eine neue Hose, eine neue Jacke, ein neues Hemd und eine Baseballkappe. Anschließend ging er auf die Toilette. Zehn Minuten später hatte er sich seine Haare bis auf einen Zentimeter abrasiert. Wenigstens war das Grau jetzt nicht mehr zu sehen. Er rieb sich das Gesicht mit einem Selbstbräuner ein und achtete sorgsam darauf, dass der Übergang am Hals nicht zu erkennen war. Als er fertig war und sich umgezogen hatte, bestellte er sich über ein öffentliches Telefon ein Taxi.
Seit seiner Flucht aus dem Hotelzimmer waren fünfzehn Stunden vergangen. Er wusste, dass er inzwischen überall in Europa von der Polizei gesucht wurde. Aber er kannte sich auch gut genug mit den Mühlen der Bürokratie aus, um sich darüber nicht allzu sehr den Kopf zu zerbrechen. Es würde noch eine Weile dauern, bis eine Personenbeschreibung an Hotels, Autovermietungen und Flughäfen herausgegeben wurde. Irgendwann würde Graves seine Kreditkarte sperren lassen, aber auch das würde sicher noch dauern. Jonathan schätzte, dass er ungefähr vierundzwanzig Stunden Zeit hatte, um an sein Ziel zu gelangen.
Eine Stunde später erreichte er den Flughafen von Brüssel. Weitere dreißig Minuten später unterschrieb er den Mietvertrag für einen Audi der Mittelklasse. Der Angestellte hinter dem Tresen schob ihm die Wagenschlüssel zu. »Eine Frage noch, Sir.«
»Ja?«, sagte Jonathan.
»Sie haben nicht vor, mit dem Wagen nach Italien zu fahren?«
»Ist das verboten?«
»Natürlich nicht, aber wir müssten eine höhere Versicherungspolice abschließen, weil die Diebstahlrate in Italien deutlich höher ist. Mietwagen werden besonders oft gestohlen.«
»Woran erkennen die Diebe, dass es sich um einen Mietwagen handelt?«, wollte Jonathan wissen.
»Am Nummernschild. In Belgien fangen die Nummernschilder von Mietwagen immer mit den Ziffern 67 an. Jedes Land hat ein solches System.«
»Verstehe«, sagte Jonathan. »Nein, ich habe nicht vor, nach Italien zu fahren«, log er dann. »Eigentlich wollte ich nach Deutschland. Nach Hamburg, um genau zu sein.«
»Dann wünsche ich Ihnen eine gute Fahrt, Dr. Ransom«, sagte der Angestellte.
Jonathan nickte zum Abschied und ging.
Er hatte viel von Emma gelernt.
37.
»Fünf Tage noch. Wir wissen nicht wo, wann oder wie. Nur, dass Robert Russell von einem unmittelbar bevorstehenden Anschlag auf ein Atomkraftwerk Wind bekommen hatte und dass er eine Art moderner Hellseher war.« Charles Graves überquerte mit zügigen Schritten den Asphalt bis zum bereitstehenden Flugzeug. Die Hände hatte er in den Taschen vergraben. Ein kräftiger Wind wehte über das Meer und wirbelte die Gischt hoch in
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