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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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düster an. »So ziemlich alles«, sagte er dann.

38.
 
    Lev Timken war nicht gerade ein Frauentyp. Er war fett, klein, hässlich und behaart wie ein Bär. Aber sein unattraktives Äußeres war noch gar nichts im Vergleich zu seinem affenartigen Grunzen. Auf dem Höhepunkt der Lust stieß der Mann so abartige Laute aus, dass sogar ein paarungsbereiter Walrossbulle die Flucht antreten würde.
    »Kannst du das nicht leiser drehen?«, fragte Sergei Shvets.
    Von seinem Sitz auf der Rückbank seiner BMW-Stretchlimousine aus genoss Shvets einen direkten Blick auf die neuesten Errungenschaften der Telekommunikation, die im Wagen installiert waren. Auf dem Bildschirm bewunderte er gerade die Bilder von der versteckten Kamera aus Timkens Schlafzimmer. »Geräusch und Beleuchtung« nannten die Männer aus dem Direktorat S diese Anlage. Shvets hatte vergleichbare Überwachungssysteme in hundert Apartments überall in der Stadt installieren lassen: Es war ratsam, seine Gegner stets im Auge zu behalten.
    Sein Fahrer stellte die Lautstärke sofort aus.
    »Himmel, nun sieh dir das an«, sagte Shvets. »Ich erweise den Moskauer Frauen einen echten Gefallen. Der Kerl hat so viel Speck am Leib, dass man damit ein ganzes Dorf einen sibirischen Winter lang versorgen könnte.«
    »Und genug Wolle, um ein Dutzend Wintermäntel daraus zu machen.«
    Shvets Wagen parkte gegenüber von Lev Timkens Apartment im Kutuzovsky Prospekt. Das Haus stammte aus den dreißiger Jahren, als Stalin versucht hatte, Moskau nach westlichem Vorbild zu modernisieren. Das Haus hätte ebenso gut am l'Étoile in Paris oder am Kurfürstendamm in Berlin stehen können.
    Timken hatte sein Vermögen in den neunziger Jahren erworben. Er war als KGB-Oberleutnant zuständig für die Beschaffung von Waffen gewesen. Nach Auflösung der KPdSU hatte er sich mehrere Fabriken unter den Nagel gerissen, in denen von Patronen bis hin zu Kampfflugzeugen alles Mögliche hergestellt wurde. Seine Erzeugnisse hatte er an den Meistbietenden verkauft. Die Käufer waren fast immer befreundete afrikanische Despoten, die mit aller Macht versuchten, ihre Rivalen vom Thron zu stürzen. Timken hatte seine Uniform rasch gegen einen maßgeschneiderten Anzug eingetauscht und die südliche Armeezentrale in der wenig glamourösen Stadt Minsk verlassen, um sein Glück in der Privatwirtschaft zu suchen. So war er in Moskau oder »dem Zentrum« gelandet, wie die Russen die Hauptstadt ihres Landes nannten.
    Nachdem er genug Geld angehäuft hatte, wagte er sich als Quereinsteiger in die Politik. Als gebürtiger St. Petersburger und ehemaliger Judochampion schlug Timken sich auf die Seite eines anderen Mannes, der ebenfalls aus St. Petersburg stammte und Wladimir Putin hieß. Timken unterstützte ihn, bis Putin an der Spitze der Macht war. Auch sein eigener Aufstieg war rasant. Timken bekam einen Sitz in der Duma und wurde ins Kabinett gewählt. Schließlich stieg er zum persönlichen Berater des Präsidenten auf und konnte somit bei den wirklich großen Entscheidungen mitreden.
    Seit drei Jahren war Timken nun erster Ratgeber des Präsidenten. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, den Kontakt zu den westlichen Ölkonzernen zu unterhalten, die Russlands gewaltige Ölvorräte plünderten und im Gegenzug die nötigen Mittel beisteuerten, um die überalterte Infrastruktur des Landes zu modernisieren. Dabei war Timken so erfolgreich, dass er in Insiderkreisen bei Spekulationen über die Frage, wer den Präsidenten nach dessen Rücktritt in zwei Jahren ablösen würde, mit an vorderster Stelle gehandelt wurde.
    »Was habt ihr der Frau gegeben?«, fragte Shvets und ließ den Bildschirm nicht aus den Augen.
    »Cyanid.«
    »Benutzen wir das immer noch?«
    »Es wirkt unübertroffen schnell. Nachdem der anfängliche verräterische Geruch verflogen ist, ist es im Blut nicht mehr nachweisbar. Es wird so aussehen, als hätte Timken einen Herzanfall erlitten. Wer würde schon an dieser Version zweifeln?«
    Shvets legte den Kopf zur Seite, um die ineinander verschlungenen Körper besser beobachten zu können. »Auf welchem Wege will sie es ihm verabreichen?«
    »Glaub mir, das willst du nicht wissen.«
    »Nun rede schon.«
    Der Fahrer beschrieb es ihm mit wenigen Sätzen. Shvets verkniff sich jeglichen Kommentar.
    Seit dem elften Jahrhundert regierten in Mütterchen Russland verschiedene Clans, die das Land unter sich aufgeteilt hatten. Das riesige Land, in dem es alleine elf Zeitzonen und mehr als einhundert

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