Geteiltes Geheimnis
Männer sind es nicht gewohnt, zurückgewiesen zu werden. Pierre Castille ist wahrscheinlich keine Ausnahme.«
»Also … Jesse. Ist der Kontakt strikt untersagt, während er auf der Fantasie-Tafel steht?« Warum stellte ich eine solche Frage? Ich kannte die Antwort! Oh Gott, ich klang wie ein verzweifelter Teenager.
»Ja, er steht nicht zur Debatte. Es sei denn, du nimmst an einem Dreier-Szenario teil oder bildest ihn aus. Vielleicht kombinieren wir ihn mit Dauphine, wenn sie in ihrer Fantasie-Mappe Interesse an seinem Typ bekundet.«
»Natürlich, ich verstehe«, antwortete ich und konnte meine Enttäuschung kaum verbergen.
»Cassie, wenn du willst, dass wir dich wieder mit Jesse zusammenbringen, um herauszufinden, ob es immer noch zwischen euch funkt, können wir das durchaus machen. Aber die Regel lautet, dass du dann einen gleichwertigen Ersatz für ihn finden musst. Bist du bereit, ihn zu ersetzen? Einen neuen Mann anzuwerben?«
Jetzt hatte sie mich in der Tasche, und sie wusste es.
»Ich dachte, in diesem Jahr wolltest du nur als Begleiterin arbeiten.«
»Stimmt. Ich bin mit der Rolle auch glücklich.«
»Also ist alles genau so, wie es sein sollte.« Sie sah auf die Uhr. »Warum setzt du uns nicht einen Kaffee auf?«
Ich ging in die kleine Küche hinter dem Foyer. Dabei dachte ich an die Art, wie Jesse mich geküsst hatte. Dieser Kuss. Dieser hungrige, suchende Kuss! Wie er mich an die kühlen Fliesen gepresst hatte. Wie er mich auf den Küchentisch gehoben hatte und mich mit dem Mund zum Orgasmus gebracht hatte – mit dem Mund , nur mit dem Mund, denn er war nie in mich eingedrungen … Oh Gott, da stand ich nun und wurde ganz feucht nur von dem Gedanken an die Möglichkeit, Jesse in mir zu spüren. Zu fühlen, wie er sich über mir bewegte, zu sehen, wie seine Armmuskeln arbeiten … Plötzlich hatte ich den unwiderstehlichen Drang, in den Sitzungsraum zurückzustürmen und seinen Namen von der Tafel zu reißen.
Danica steckte den Kopf in die kleine Küche. »Sie ist da. Dauphine, meine ich. Sie steht vor dem Tor. Bist du bereit?«
»Ja, klar, bereit«, sagte ich, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben. »Los geht’s!«
SECHS
Dauphine
Wie oft war ich schon an dieser Villa vorbeigekommen, ohne zu ahnen, was im Inneren vor sich ging? Ich wohnte nur wenige Straßen davon entfernt. Die Möglichkeit eines ausgefüllteren Lebens war direkt vor meiner Nase gewesen, doch ich hatte nichts davon geahnt. Es ist schon witzig, dass man bereit für eine Veränderung ist, es aber nicht weiß, bis sie auf der eigenen Türschwelle steht.
Ich stand vor diesem imposanten Tor auf der Third Street und zögerte einzutreten. Du musst nicht bleiben. Du musst nichts tun, was du nicht tun willst .
Mein unausgesprochenes Lebensmotto war stets gewesen: Wenn ich es nicht kontrollieren kann, dann vertraue ich ihm auch nicht. Das hatte bei meinem Geschäft funktioniert – nachdem ich Charlotte ausbezahlt hatte, hatte ich fast niemandem mehr vertraut (Elizabeth war die seltene Ausnahme), und ich hatte die Kontrolle über meinen Laden wiedergewonnen. Aber mein Kontrollzwang hatte mich im gleichen Maße daran gehindert, mich weiterzuentwickeln, mich zu verändern und zu wachsen. Ich war keine Risiken mehr eingegangen. Du liebe Güte, ich hatte mir sogar selbst die Haare geschnitten, weil ich niemandem zutraute, es für mich zu tun. Ich kämmte es mir vor das Gesicht und schnitt mir vor dem Spiegel die Spitzen. Luke hatte gesagt, dass es nicht Charlotte war, die zu unserem Bruch führte, sondern die Tatsache, dass ich in meinem Leben unwiderruflich festgefahren war.
Als Cassie aus dem Kutschenhaus kam, erkannte sie mich zuerst nicht. Ich trug das Haar offen und hatte auch kein Kleid angezogen, sondern eine Dreiviertelhose mit seitlichem Reißverschluss, wie sie in den Sechzigerjahren modern gewesen war. Dazu eine ärmellose Bluse mit Blumenmuster und Espadrilles. Ich wollte lässig wirken, aber nicht zu locker, beherrscht, aber nicht zugeknöpft. Cassie wirkte in ihrer Jeans und dem weißen T-Shirt nicht halb so neurotisch wie ich.
Jetzt hör endlich auf zu denken, Dauphine!
»Komme ich zu spät?«
»Sie sind genau pünktlich. Bereit?«
»So bereit man nur sein kann.«
Ich folgte ihr durch das weinumrankte Tor. Das Grundstück, das sich dahinter verbarg, war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte: makelloses, kurz gemähtes Gras, leuchtend pinke Hortensien, weiße Rosen von der Größe eines
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