Geteiltes Geheimnis
bewegte ich zumindest meine Beine etwas und neigte meine Sitzlehne zurück, um mich auf den Nachtflug vorzubereiten. Die Passagiere begannen, die Fensterklappen herunterzuziehen, und Eileen dimmte die Lichter in der Kabine, bevor sie zusätzliche Decken ausgab. Als sie vor mir niede rkniete, hätte man fast denken können, sie wollte mich zudecken. Aber sie legte nur eine zusammengefaltete Decke über meine Beine und beugte sich vor, um mir etwas zuzuflüstern: »Miss Mason, der Captain würde sich freuen, Ihrer Bitte zu entsprechen, das Cockpit zu besuchen, während das Flugzeug per Autopilot fliegt.«
Ich musste lachen. Da hatten sie aber etwas gründlich verwechselt. »Oh, um so etwas habe ich ganz sicher nicht gebeten. Ich würde nie …«
Doch ich konnte den Satz nicht beenden, denn schon h atte Eileen behutsam einen Umschlag aus den Falten me iner Decke gezogen und ihn mir in den Schoß gelegt. »Ich bin sicher, dass wir uns nicht irren«, sagte sie und sah mich durchdringend an. »Ich bin in ein paar Minuten wieder da, um Sie zu begleiten.«
Der Umschlag war nicht beschriftet, aber ich erkannte das cremefarbene Papier. Mein Herz raste. Stand mir nun der dritte Schritt bevor, in zehntausend Metern Höhe? Meine Hand zitterte, als ich den Brief öffnete. Tatsächlich. Schritt drei stand auf der einen Seite der Karte, und auf der anderen war nur ein einziges Wort zu lesen: Vertrauen . Aber wer sollte denn nun das Vertrauen aufbringen – ich oder die ganzen anderen Passagiere in diesem Flugzeug, die wohl lieber nicht wissen wollten, wie ich demnächst den Piloten ablenken würde? Ich ließ die Karte in meine Tasche gleiten und schüttelte mir nervös ein halbes Dutzend Tictacs in die Hand, die ich noch nicht ganz aufgegessen hatte, als die Flugbegleiterin schließlich zurückkehrte.
»Sind Sie bereit, Miss Mason?«
Ich schluckte die restlichen Bonbonstücke herunter. »Hmm. Ja. Ich glaube schon«, sagte ich und versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen.
»Eine alte Freundin von mir hat mal gesagt, dass man sich seiner Angst stellen sollte, um sie in eine Gelegenheit zur Entscheidung zu verwandeln. Wenn Sie sehen, wie ein Flugzeug funktioniert, und ein besseres Verständnis für all die Knöpfe und Hebel entwickeln, können Sie Ihre Flugangst aktiv und bewusst überwinden. Captain Nathan freut sich sehr, Ihnen dabei behilflich zu sein.«
Sie zitierte Matilda! Eileen war eine von uns. Sie reichte mir die Hand und musste mich praktisch auf die Füße ziehen, denn meine Beine waren vor Schreck wie gelähmt.
»Da. Sehen Sie? Das war doch gar nicht so schlecht.«
Wir gingen den kurzen Gang hinab. Als wir vor der Cockpit-Tür standen, klopfte sie dreimal kurz an. Eine Sekunde später steckte ein junger Mann mit sandfarbenem Haar, dicker Brille und einer großen Zahnlücke den Kopf heraus. Oh mein Gott. Ich gab es nicht gern zu, aber mir sank mein oberflächliches Südstaatenherz. Trotzdem lächelte ich ihn höflich an und rief mir ins Gedächtnis, wofür das C in S.E.C.R.E.T. stand. Wenn mein Fantasiemann nicht für ein Crescendo sorgte, dann musste ich auch nicht weitermachen.
»Ist das unsere reizende Besucherin?«, fragte er lispelnd. Du liebe Güte .
»Ja«, antwortete die Flugbegleiterin. »Miss Dauphine Mason, dies ist unser hochtalentierter Erster Offizier Friar. Miss Mason möchte sich gern die Arbeit im Cockpit anschauen. Dadurch hofft sie, ihre Flugangst überwinden zu können.«
»Ah ja. Lüfte das Geheimnis, und die Angst verschwindet. Das ist Captain Nathans Spezialität. Er kann Ihnen alles zeigen, während ich mir die Beine vertrete. Mit drei Leuten wäre es im Cockpit ohnehin zu voll. Viel Glück!« Mit diesen gelispelten Worten zog sich der Erste Offizier Friar in den hinteren Teil des Flugzeuges zurück.
Durch das Vorderfenster sah man den dunkler werdenden Himmel, unter uns nichts als schwarzes Wasser. Das hohe Wimmern der Motoren übertönte die Schreie, die in meinem eigenen Kopf widerhallten, während ich wie versteinert dastand.
Eileen stieß mich sanft durch den schmalen Eingang. »Ich bin bald wieder da«, sagte sie und sah auf die Uhr. »Genießen Sie Ihre Flugstunde.« Sie schloss die Tür hinter sich.
Die Silhouette des Piloten hob sich gegen das Fenster ab. Er saß mit dem Rücken zu mir. Er trug keine Jacke, nur sein weißes Hemd. Die Armmuskeln traten deutlich unter den Ärmeln hervor, als er ein paar Hebel auf einem Armaturenbrett vor sich von links nach rechts schob.
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