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Getrieben - Durch ewige Nacht

Getrieben - Durch ewige Nacht

Titel: Getrieben - Durch ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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lernen.
    Der Äther breitete sich in blauen, schimmernden Wogen über den Himmel aus – dichter, als er es je gesehen hatte, selbst in den härtesten Wintern. Sobald die Sonne aufgegangen war, würde es ein wenig heller werden, aber selbst tagsüber blieb alles in wirbelndes, blaues Licht getaucht.
    Mit Cinder und Reef an seiner Seite lief Perry über den Pfad, der nach Norden aus dem Dorf hinausführte, vorbei an verbrannten Bäumen, deren feine Asche ihn in der Nase kitzelte und Reef zum Niesen brachte. Keiner von beiden hatte gefragt, wo Perry hinwollte – und dafür war er ihnen dankbar. Mit jedem Schritt schlug sein Puls schneller.
    Er schaute kurz zu Cinder hinüber, der einen angespannten Gesichtsausdruck hatte und dessen Stimmung aufgeladen und grün war. Sie hatten nicht darüber gesprochen, was während des Angriffs passiert war. Perry hatte ihn jeden Tag ein paar Minuten zur Seite genommen und ihm gezeigt, wie man einen Pfeil abschoss. Cinder stellte sich schrecklich zappelig und ungeduldig an, aber er versuchte es und gab sich Mühe. Außerdem schien er sich mit Willow angefreundet zu haben, die ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Inzwischen saßen die beiden im Kochhaus an einem Tisch, und vor ein paar Tagen war Perry ihnen auf dem Weg zum Hafen begegnet und hatte bemerkt, dass Willow Cinders Mütze trug.
    Der Weg wurde schmaler, je weiter er sich vom Dorf entfernte. Der unebene, steinige Boden hier eignete sich nicht für die Landwirtschaft, aber es war ein guter Jagdgrund – zumindest war er es damals gewesen, als Perry seine Tage noch mit Jagen verbracht hatte. Nach einer Stunde beschrieb der Pfad eine Kurve nach Westen und führte sie zu einer Klippe über dem Meer. Das Steilufer fasste eine kleine Bucht ein, wo schwarze Felsen unterschiedlicher Größe entlang des Strandes aus dem Sand und der Brandung herausragten.
    Perry drehte sich zu Reef und Cinder um. »Dort unten ist eine Höhle, die ich euch zeigen will.«
    Reef warf sich seine Zöpfe über die Schultern und schaute ihn mit einem Gesichtsausdruck an, den Perry nicht zu deuten wusste. Er hätte zwar seine Stimmung erspüren können, beschloss aber, darauf zu verzichten. Wortlos begann er, den zerklüfteten Abhang hinunterzuklettern, über Felsen, harten Sand und Grasbüschel, wie er es Hunderte von Malen mit Roar, Liv und Brooke getan hatte. Diese Kletterpartie hatte damals Freiheit bedeutet, eine Flucht vor den nie endenden, lästigen Pflichten im Dorf und der Enge des Stammeslebens. Aber statt ungeduldiger Vorfreude auf das vertraute Versteck hatte Perry jetzt das Gefühl, sich in eine Falle zu begeben.
    Vor lauter Anspannung bewegte er sich viel zu schnell. Als er es bemerkte, zwang er sich, langsamer zu werden und auf Cinder und Reef zu warten, die über ihm kleine Lawinen lostraten.
    Als sie schließlich am Strand standen, war er außer Atem, wenn auch nicht vom Klettern. Die Wände des Steilufers um sie herum formten sich zu einem Hufeisen, und er konnte das erdrückende Gewicht des Felsgesteins über ihm förmlich spüren, als sei er schon in der Höhle. Die Brandung krachte an die Küste, und es kam ihm vor, als tobte sie in seiner Brust. Er konnte nicht glauben, was er hier tat, was er gleich sagen würde … und was er ihnen zeigen würde.
    »Hier entlang.« Er führte sie zu einer schmalen Spalte in der Felswand – dem Eingang der Höhle – und glitt hinein, bevor er es sich anders überlegen konnte. Perry musste sich dicht an den Fels pressen, um durch die schmale Öffnung und in die riesige Höhle im Inneren zu gelangen. Dort blieb er kurz stehen und atmete ganz bewusst langsam ein und aus, während er sich sagte, die Wände würden sich nicht um ihn schließen und ihn mit ihrem tonnenschweren Gewicht zermalmen.
    In der schummrigen Höhle war es kalt und feucht, aber ihm lief der Schweiß über den Rücken und die Brust. Ein fauliger Geruch drang in seine Nase, und die hallende Stille dröhnte in seinen Ohren. Sein Brustkorb fühlte sich an, als müsse er ersticken – so wie damals im aufgewühlten Wasser am Tag des Äthersturms. Sooft er schon hier gewesen sein mochte, dieses Gefühl hatte er zu Anfang jedes Mal.
    Endlich kam er wieder zu Atem und schaute sich um.
    Hinter ihm strömte genug Tageslicht in die Höhle, um die ungeheure Ausdehnung des Raums erkennen zu lassen – des weit geöffneten Bauchs der Klippen. Sein Blick wanderte zu einem Stalagmiten in einiger Entfernung: ein stehender Tropfstein, der

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