Getrieben - Durch ewige Nacht
saßen abseits, an separaten Tischen, und schauten die Neuankömmlinge missbilligend an. Perry erkannte seinen Stamm kaum wieder. Menschen kamen und gingen, und beides war für die Tiden gleichermaßen beunruhigend.
»Danke«, sagte Marron leise. Er wusste, welche Last er Perry damit auferlegte.
»Du brauchst dich nicht zu bedanken. Morgen werde ich euch eure Arbeiten zuweisen.«
Marron nickte, und seine blauen Augen begannen zu funkeln und füllten sich mit der aufgeweckten Neugier, die Perry an ihm kannte. »Natürlich. Wir tun alles, was du willst.«
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Aria
| Kapitel Zweiundzwanzig
Welches Bild sich Aria vom Stamm der Hörner auch immer gemacht haben mochte, es besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem, was sie jetzt vor sich sah: Ehrfürchtig schaute sie zur Siedlung der Hörner hinauf, während sie zusammen mit Roar über einen Feldweg darauf zuging. Sie hatte geglaubt, Rim sei ein Dorf, ähnlich wie das der Tiden, aber es war viel mehr.
Der Weg führte sie durch ein Tal, das um ein Vielfaches größer war als das der Tiden. Äcker erstreckten sich über Berghänge, die zu steilen, schneebedeckten Gipfeln anstiegen. Hier und da sah sie die silbernen Narben der Schäden, die der Äther verursacht hatte. Sable kämpfte bei der Nahrungsbeschaffung offenbar mit den gleichen Problemen wie Perry. Diese Erkenntnis schenkte ihr ein seltsames Gefühl der Genugtuung.
In der Ferne erblickte sie die Stadt: eine Ansammlung unterschiedlich hoher Türme, die aus der Wand eines steilen Berges herauszuwachsen schienen. Balkone und Brücken verbanden die Türme zu einem chaotischen Netzwerk, so ausgedehnt und versprengt, dass es Aria an ein Korallenriff erinnerte. Ein Gebäude, dessen hohes Spitzdach sie an einen Speer denken ließ, überragte alle anderen. Vor der Stadt floss der Snake River und bildete einen natürlichen Festungsgraben, an dessen Ufern sich kleinere Bauten und Wohnhäuser aneinanderreihten.
Helle Ätherströme wirbelten über den Vormittagshimmel und verstärkten Rims bedrohliche Erscheinung. Der Sturm, vor dem sie zu fliehen versucht hatten, war ihnen hierhergefolgt.
Aria hob eine Augenbraue. »Das ist nicht gerade das Tidendorf, oder?«
»Nein, kann man nicht behaupten«, meinte Roar kopfschüttelnd, die Augen wie gebannt auf die Stadt gerichtet.
Je weiter sie sich Rim näherten, desto dichter wurde der Verkehr auf dem Weg. Menschen kamen und gingen, trugen Kisten und Bündel oder schoben Karren vor sich her. Aria bemerkte, dass die Sinnesträger besondere Kleidung trugen, welche die Arme frei ließ, sodass man sehen konnte, mit welchem extremen Sinn sie begabt waren – Westen für Männer und Oberteile mit Schlitzen an den Ärmeln für Frauen. Adrenalin prickelte in Arias Adern, als sie mit der Hand über ihr Hemd fuhr und sich die verschmierte Tätowierung darunter vorstellte.
Roar hielt sich dicht in ihrer Nähe, als sie eine breite, gepflasterte Brücke erreichten und sich in den Menschenstrom einreihten. Gesprächsfetzen drangen an ihre Ohren.
»… hatten doch gerade erst einen Sturm …«
»… such deinen Bruder und sag ihm, er soll sofort nach Hause kommen …«
»… noch schlechtere Ernte als letztes Jahr …«
Die Brücke führte zu einem Labyrinth aus schmalen Gassen, die von mehrstöckigen Steinhäusern gesäumt waren. Aria ging voran und folgte der Hauptstraße. Der Weg war schmal und schattig wie ein Tunnel, vollgestopft mit Menschen, deren Stimmen zwischen all den Steinen widerhallten. Unrat gammelte in den Rinnsteinen, und ein übler Gestank hing in der Luft. Rim mochte zwar groß sein, aber Aria erkannte auf den ersten Blick, dass die Stadt nicht annähernd so modern war wie Delphi.
Die Gassen wanden sich in Serpentinen den Berg hinauf, um dann abrupt vor einem Turm zu enden. Wuchtige Holztore öffneten sich hin zu einem steinernen, von Fackeln erhellten Vorraum. Wachen in schmucken, schwarzen Uniformen mit roten Hirschgeweihen auf der Brust beobachteten den Strom von Menschen, die das Tor passierten.
Als Aria und Roar den Vorraum betraten, stellte sich ihnen ein wuchtiger Wachposten mit dichtem, schwarzem Bart in den Weg. »Was führt euch hierher?«, verlangte er zu wissen.
»Wir kommen von den Tiden, um Sable eine Nachricht zu überbringen«, erklärte Aria.
»Wartet hier.« Er verschwand im Inneren des Turms.
Aria erschien es wie eine Stunde, bis endlich ein anderer Wachposten auftauchte und Roar einen flüchtigen Blick zuwarf. »Seid ihr
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