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Getrieben - Durch ewige Nacht

Getrieben - Durch ewige Nacht

Titel: Getrieben - Durch ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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gezeichnet?«, fragte er. Er hatte sehr kurz geschnittenes, dunkles Haar, fast wie rasiert, und einen ungeduldigen Ausdruck in den Augen. Die Hirschgeweihe auf seiner Brust waren mit silbernem Faden gestickt.
    Roar nickte. »Ich bin ein Horcher.«
    Der Blick des Wächters wanderte zu Aria. »Und du?«
    »Nicht gezeichnet«, erklärte sie, was ja auch der Wahrheit entsprach, zumindest teilweise. Auf einer Seite hatte sie schließlich keine Tätowierung.
    Die Augenbrauen des Mannes hoben sich leicht, und dann wanderte sein Blick an ihrem Körper hinunter, bis zu ihrem Gürtel. »Hübsche Messer.« Sein Tonfall war flirtend und anzüglich.
    »Danke«, erwiderte Aria. »Ich achte darauf, dass sie immer gut geschärft sind.«
    Ein amüsiertes Grinsen umspielte seinen Mund. »Folgt mir.«
    Aria tauschte einen Blick mit Roar, als sie den Turm betraten. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
    In dem weitläufigen Gang roch es schwach nach Moder und saurem Wein. Es war kalt und feucht. Trotz der geöffneten hölzernen Fensterläden und der Lampen wirkte der Steinkorridor düster und schattig. Leise Stimmen drangen an Arias Ohr und wurden dann lauter.
    Roar schlich neben ihr her und musterte jede Person und jeden Raum, an dem sie vorbeikamen, mit hungrigen Augen. Aria konnte sich nicht vorstellen, wie er sich fühlen musste: Nach so vielen Monaten der Suche würde er endlich Liv wiedersehen.
    Über eine breite Türschwelle gelangten sie in eine Halle, die so groß war wie das Kochhaus der Tiden, aber eine hohe, gewölbte Decke hatte, die Aria an eine gotische Kathedrale erinnerte. Offenbar waren sie genau zur Essenszeit eingetroffen: Dutzende von Wächtern saßen dicht gedrängt an den Tischen, ein Meer von Schwarz und Rot, das sich vor ihnen ausbreitete. Sable hatte seine Soldaten anscheinend gern in seiner Nähe.
    Eine glückliche Fügung
, dachte Aria. Sie hatte befürchtet, Sable könnte ihre Stimmung wittern. Aber vielleicht würde ihm in einer so großen Menschenmenge ja die Angst entgehen, die in ihr tobte.
    Am anderen Ende der Halle sah sie ein Podium, auf dem ein paar Männer und Frauen erhöht über den anderen saßen. Keiner der Männer trug eine Kriegsherrenkette.
    »Ich sehe ihn nicht«, meinte der Wächter. »Aber ihr vielleicht. Er hat kurzes Haar, blaue Augen und ist ungefähr so groß wie ich. Eigentlich exakt so groß wie ich.«
    Der Humor in seiner Stimme jagte Aria einen kalten Schauer über den Rücken. Sie wandte sich dem Wächter – Sable – zu, der neben ihr stand.
    Er war älter, als sie erwartet hätte. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Mittelgroß und von kräftiger Statur, mit feinen, ebenmäßigen, aber irgendwie durchschnittlichen Zügen. Wäre da nicht der Ausdruck in seinen stahlblauen Augen gewesen, hätte sie ihn für unscheinbar gehalten. Aber dieser Ausdruck – souverän, listig und amüsiert – machte aus einem eher nichtssagenden einen attraktiven Mann.
    Sable grinste, offensichtlich zufrieden, dass sie auf seinen Trick hereingefallen war. »Ich weiß, dass ihr von den Tiden kommt, aber ich habe eure Namen nicht mitbekommen.«
    Sie räusperte sich. »Aria und Roar.«
    »Wo ist Liv?«, fragte Roar rundheraus.
    Sables Augen wanderten zu Roar und verengten sich zu Schlitzen, als er ihn erkannte. »Olivia hat von dir gesprochen.«
    Etliche Sekunden verstrichen. In der Halle um sie herum herrschte geschäftiges Treiben. Arias Puls raste. Sie sah, wie sich Sables Brust hob und senkte, und sie wusste, dass er Roars Wut witterte. Seine Eifersucht. Ein Jahr der Sorge um Liv.
    »Das wird ein Wiedersehen«, meinte Sable schließlich. »Kommt. Ich bringe euch zu ihr.«
    Sie verließen die Halle und kehrten in den schattigen Korridor zurück. Aria versuchte, sich den Weg einzuprägen, aber nach zahlreichen Biegungen und Abzweigungen stiegen sie eine schmale Treppe hinauf in neue Korridore, die sich wieder verzweigten. Sie sah Türen und Lampen entlang der Wände, aber keine Fenster oder besonderen Merkmale, an denen sie sich orientieren konnte. Plötzlich fühlte sie sich wie in einem Gefängnis; das Ganze erinnerte sie an eine Labyrinth-Welt, in der sie sich einmal verirrt hatte. Vor ihrem inneren Auge blitzte das Bild eines Kerkers auf und ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen. Wo hielt Sable Liv nur gefangen?
    »Wie macht sich der junge Kriegsherr der Tiden?«, erkundigte sich Sable über die Schulter hinweg. Aria konnte sein Gesicht zwar nicht sehen, aber sein Tonfall klang leicht und

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