Gevatter Tod
brüllte einen so alten und bösartigen Fluch, daß er in dem starken magischen Feld tatsächlich Gestalt annahm, mit ledrigen Schwingen schlug und davonschlich. Ein ganz persönliches Gewitter krachte über den Sanddünen.
Er versuchte, Ysabells Blick einzufangen. Sie hatte das Gefühl, als falle ihr Geist wie ein Stein in einen tiefen Schacht aus blauem Glanz. Hastig drehte sie den Kopf.
GEHORCHE MIR. Morts Stimme wäre in der Lage gewesen, besonders harten Granit zu zerschneiden.
»Mit diesem Tonfall versucht es Vater mir gegenüber schon seit Jahren«, erwiderte Ysabell ruhig. »Meistens dann, wenn er möchte, daß ich mein Zimmer aufräume. Es hat noch nie geklappt.«
Mort rief einen zweiten Fluch, der einige Sekunden lang umherflatterte und dann versuchte, sich im Sand zu verstecken.
DER SCHMERZ…
»Du bildest dir alles nur ein«, sagte Ysabell und stemmte sich der Kraft entgegen, die sie beide in Richtung Torbogen zerrte. »Du bist nicht Tod. Du bist nur Mort. Du bist das, was du zu sein glaubst.«
Mitten im konturlosen Blau der Augen bildeten sich zwei winzige braune Punkte und wuchsen rasch.
Der Sturm um sie herum klagte mit zischenden Böen. Mort schrie.
Der Ritus von AshkEnte dient schlicht und einfach dazu, Tod zu beschwören und zu binden. Studenten des Okkulten wissen, daß man ihn vergleichsweise einfach vollziehen kann. Nötig sind nur: eine magische Formel, drei kleine Holzstücke und vier Kubikzentimeter Mäuseblut. Doch kein Zauberer, der seinen spitz zulaufenden Hut wert ist, würde etwas derart Unbeeindruckendes erwägen. Tief in ihren Herzen wissen sie, daß eine magische Zeremonie nur dann thaumaturgischer Würde gerecht wird, wenn sie von großen gelben Kerzen Gebrauch macht, nicht auf jede Menge Weihrauch und andere erlesene Kräuter verzichtet, mit acht verschiedene Kreidefarben auf den Boden gemalte Kreise benutzt und darüber hinaus auch einige große Kessel verwendet.
Die acht Zauberer standen an den Spitzen des großen Oktagramms, wankten von einer Seite zur anderen und sangen. Sie hielten die Arme ausgestreckt, so daß sich ihre Fingerspitzen berührten.
Aber irgend etwas ging nicht mit rechten Dingen zu. Oh, sicher, im Zentrum des ausgesprochen lebendig wirkenden Oktagramms hatte sich eine Dunstwolke gebildet, aber sie wallte und wogte, weigerte sich hartnäckig, Gestalt anzunehmen.
»Mehr Energie!« rief Albert. »Wir brauchen mehr magische Energie. Volldampf voraus!«
Kurz darauf formten sich Konturen im Nebel: ein schwarzer Umhang, ein glühendes Schwert. Albert fluchte, als er das bleiche Gesicht unter der Kapuze sah. Es war nicht bleich genug.
»Nein!« rief er, sprang ins Oktagramm und versuchte, das noch substanzlose Etwas zu verscheuchen. »Nicht du, nicht du…«
Und im fernen Tsort vergaß Ysabell ihre damenhafte Zurückhaltung. Sie ballte die Faust, kniff die Augen zusammen und schlug Mort ans Kinn. Die Welt um sie herum explodierte…
In der Küche von Hargas Rippenhaus fiel die Bratpfanne zu Boden, und einige Katzen ergriffen die Flucht…
Im großen Saal der Unsichtbaren Universität geschah alles gleichzeitig. 9
Die Zauberer richteten eine gewaltige thaumaturgische Kraft auf die Schattensphäre, und plötzlich bekam sie einen Fokus. Wie ein widerstrebender Korken, der sich mit einem jähen Plopp aus dem Flaschenhals löst, wie ein dicker Tropfen aus der umgedrehten Ketchupflasche der Ewigkeit – materialisierte Tod im Oktagramm und fluchte.
Albert begriff zu spät, daß er sich innerhalb des magischen Rings befand und versuchte hastig, ihn zu verlassen. Skelettene Finger hielten ihn am Saum seines Mantels fest.
Die übrigen Zauberer – diejenigen von ihnen, die noch immer auf den Beinen standen und bei Bewußtsein waren stellten verblüfft fest, daß Tod eine Schürze trug und ein Kätzchen in der Hand hielt.
»Warum mußtest du ALLES RUINIEREN?«
»Alles ruinieren?« wiederholte Albert und trachtete noch immer danach, den Rand des Oktagramms zu erreichen. »Weißt du denn nicht, was der Junge angestellt hat?«
Tod hob den Kopf und schnupperte.
Das Geräusch überlagerte alle anderen Laute im Saal und brachte sie zum Schweigen.
Es war ein Geräusch, das man am dunklen Rand von Träumen hört, das einen schweißgebadet und voller Entsetzen aus dem Schlaf reißt. Es war wie das leise Kratzen an der Tür des Grauens. Es war wie das Schnaufen jener besonderen Igelspezies, die Bäume zertrampelt und Lastwagen unter sich zerquetscht. Es war ein
Weitere Kostenlose Bücher