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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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dem Erwachen zu beschreiben, während der das Bewußtsein nur warmes rosarotes Nichts enthält. Man liegt in völliger Gedankenlosigkeit und spürt nur den vagen, langsam stärker werdenden Verdacht, daß sich all jene Erinnerungen heranschleichen, auf die man getrost verzichten kann. Sie sind wie eine mit feuchtem Sand gefüllte Socke, die von entschlossener Hand herumgeschwungen wird und genau auf die Stirn zielt. Mit ihnen einher geht die kummervolle Erkenntnis, daß der einzige tröstende Aspekt einer wahrhaft entsetzlichen Zukunft in ihrer Kürze besteht.
    Mort setzte sich auf und preßte die Hände an den Kopf, um zu verhindern, daß er sich ganz abschraubte.
    Neben ihm wölbte sich der Sand, und Ysabell kroch darunter hervor. Das Haar war zerzaust, und Pyramidenstaub bedeckte ihre Wangen. Einige Strähnen schienen an den Enden versengt zu sein.
    Das Mädchen musterte Mort gleichgültig.
    »Hast du mich geschlagen?« fragte er und betastete den Unterkiefer.
    »Ja.«
    »Oh.«
    Mort starrte zum Himmel hinauf, als könne ihn das Firmament an etwas erinnern. Er glaubte sich daran zu entsinnen, daß er bald irgendwo erwartet wurde. Kurz darauf fiel ihm etwas anderes ein.
    »Danke«, sagte er.
    »Gern geschehen – und das meine ich ernst«, erwiderte Ysabell. Sie stand auf und versuchte, sich Schmutz und Spinnwebenreste vom Kleid zu streichen.
    »Sollen wir jetzt los, um deine Prinzessin zu retten?« fragte sie zaghaft.
    Morts ganz persönliche Realität holte ihn ein. Mit einem Satz sprang er auf die Beine, stieß einen erstickten Schrei aus und beobachtete blaue Funken, die ihm vor den Augen tanzten. Er schwankte kurz und sank wieder zu Boden. Ysabell hielt ihn fest und half ihm wieder in die Höhe.
    »Laß uns zum Fluß gehen«, sagte sie. »Wir könnten jetzt wohl einen Schluck Wasser vertragen.«
    »Was ist mit mir geschehen?«
    Ysabell stützte ihren Begleiter, und trotzdem gelang es ihr, die Schultern zu heben.
    »Jemand hat den Ritus von AshkEnte vollzogen. Vater haßt ihn. Er meint, man beschwöre ihn immer bei den unpassendsten Gelegenheiten. Der Teil von dir, der sich – nun, mit Tod identifizierte, folgte dem Ruf, und du bliebst hier zurück. Glaube ich. Wenigstens sprichst du jetzt wieder mit deiner alten Stimme.«
    »Wie spät ist es?«
    »Kommt ganz darauf an, wann die Pyramide von den Priestern geschlossen wird.«
    Mort zwinkerte, starrte durch einen brennenden Tränenschleier und beobachtete die große Grabstätte des Königs. Tatsächlich. Heller Fackelschein glühte, und einige Gestalten versiegelten den Zugang. Wenn die Legenden auch nur ein Körnchen Wahrheit enthielten, würden bald die monströsen Wächter erwachen und mit ihrer ewigen Patrouille beginnen.
    Tods Lehrling wußte, daß es sich nicht nur um eine Sage handelte. Er erinnerte sich an das Wissen darum. Er erinnerte sich an eine eigene Bewußtseinssphäre, die so kalt und endlos war wie der nächtliche Himmel. Er erinnerte sich, in eine widerstrebende Existenz gerufen worden zu sein, als das erste lebende Geschöpf entstand. Er erinnerte sich an die sichere, über jeden Zweifel erhabene Erkenntnis, die letzten Lebewesen im Universum zu ihrer endgültigen Bestimmung zu begleiten. Anschließend bestand seine Pflicht darin, im übertragenen Sinne die Stühle auf die Tische zu stellen und das Licht zu löschen.
    Er erinnerte sich an das Gefühl der Einsamkeit.
    »Verlaß mich nicht!« brachte er hervor.
    »Ich bin hier«, antwortete Ysabell. »Und ich bleibe, solange du mich brauchst.«
    »Es ist Mitternacht«, raunte Mort niedergeschlagen, ließ sich am Ufer des Tsort nieder und tauchte den schmerzenden Kopf in leise gluckerndes Naß. Neben ihm erklang ein Geräusch, als ließe jemand das Wasser aus einer Badewanne: Binky trank.
    »Bedeutet das, wir sind zu spät dran?«
    »Ja.«
    »Tut mir leid. Ich wollte, ich könnte dir helfen.«
    »Das kannst du nicht.«
    »Zumindest hast du dein Versprechen Albert gegenüber gehalten.«
    »Ja«, murmelte Mort bitter, »wenigstens das.«
    Fast von einer Seite der Scheibenwelt zur anderen…
    Es gibt keinen geeigneten Ausdruck für den mikroskopisch kleinen Hoffnungsschimmer, auf den man sich nicht zu konzentrieren wagt, weil man fürchtet, ihn dadurch zu vertreiben – ebensogut könnte man versuchen, ein Photon zu betrachten. Man kann sich nur vorsichtig heranschleichen, daran vorbeisehen, daran vorbeigehen und darauf warten, daß jenes Licht hell genug wird, um die Schatten des Zweifels zu

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