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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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vertreiben.
    Wasser tropfte von Morts Stirn, als er den Kopf hob, zum Sonnuntergangshorizont blickte und danach trachtete, sich das Modell der Scheibenwelt in Tods Arbeitszimmer ins Gedächtnis zurückzurufen, ohne daß der Kosmos Verdacht schöpfte.
    Bei solchen Gelegenheiten gewinnt man manchmal den Eindruck, als sei das universelle Möglichkeitspotential so fein ausbalanciert, daß man alles zu ruinieren droht, wenn man nur zu laut denkt.
    Mort orientierte sich anhand der Mittlichter, die zwischen den Sternen funkelten, vermutete möglichst unauffällig, daß sich Sto Lat etwa – dort drüben befand…
    »Mitternacht«, sagte er laut.
    »Inzwischen schon nach Mitternacht«, verbesserte Ysabell.
    Mort stand auf und gab sich alle Mühe, seinen Triumph zu verbergen, der wie ein emotionales Fanal strahlte. Möglichst ruhig griff er nach Binkys Zügeln.
    »Komm«, sagte er. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
    »Was meinst du damit?«
    Mort schwang sich in den Sattel und half dem Mädchen beim Aufsteigen. Eine freundliche, gut gemeinte Geste – doch fast wäre er dadurch vom Rücken des Hengstes gerutscht. Ysabell schob seine Hand sanft beiseite und nahm ganz allein hinter ihm Platz. Binky tänzelte ein wenig, spürte Morts Aufregung, schnaubte und scharrte mit den Hufen.
    »Ich sagte: Was meinst du damit?«
    Mort drehte das Pferd zum fernen Glühen des Sonnenuntergangs herum.
    »Die Geschwindigkeit der Nacht«, erwiderte er.
     
    Schneidgut blickte über die Schloßzinnen und stöhnte. Die Grenzfläche war nur noch eine Straße entfernt und im oktarinen Spektrum ganz deutlich zu erkennen. Er brauchte nicht einmal seine Phantasie zu bemühen, um sich das brutzelnde Zischen vorzustellen. Er hörte es: ein scheußliches sägendes Summen – so als träfen hier und dort Partikel einer eigenwilligen Wirklichkeit auf die Wand der echten, realen Realität und gäben ihre Energie in Form von Geräuschen ab. Die perlmuttene Wand kroch mit unaufhaltsamer Zielstrebigkeit übers Kopfsteinpflaster, verschlang dabei bunte Wimpel und Fähnchen, Fackeln und wartende Zuschauer. Zurück blieben nur dunkle Gassen. Irgendwo dort draußen, dachte der Zauberer, ist überhaupt nichts passiert. Irgendwo dort draußen liege ich friedlich in meinem Bett und schlafe. Ach, wie ich mich beneide.
    Er drehte sich um, kehrte über die Treppe nach unten zurück, hastete zum großen Saal und hatte dabei Mühe, nicht über den Saum seines Umhangs zu stolpern. Leise schlüpfte er durch die kleine Klappe in der großen Tür und befahl den Wächtern, die Pforte zu verriegeln. Dann hob er den widerspenstigen Mantel ein wenig und lief durch einen Seitengang, um nicht von den Gästen gesehen zu werden.
    Tausende von Kerzen flackerten im Saal, und Dutzende von Würdenträgern aus der Sto-Ebene warteten darauf, daß die Zeremonie begann. Die meisten von ihnen wirkten irgendwie verunsichert und schienen nicht so recht zu wissen, warum sie sich an diesem Ort befanden.
    Hinzu kam der Elefant.
    Der Anblick jenes Elefanten überzeugte Schneidgut davon, daß er endgültig übergeschnappt war. Vor einigen Stunden hatte er jenes Tier für eine ausgezeichnete Idee gehalten, als ihn das eher begrenzte Sehvermögen des Hohepriesters an den Rand der Verzweiflung brachte und er sich dann an die Sägemühle am Rande der Stadt erinnerte. Dort wurde besagtes Geschöpf eingesetzt, um Baumstämme und andere schwere Lasten zu transportieren. Nun, es handelte sich um einen schon älteren, recht arthritischen Elefanten mit unberechenbarem Temperament, aber er eignete sich prächtig als Opfer: Der Hohepriester sollte in der Lage sein, ihn zu sehen.
    Mehrere Soldaten versuchten behutsam, das Tier zu beruhigen. In seinem nur langsam arbeitenden Hirn dämmerte allmählich die Erkenntnis, daß es sich eigentlich im Stall befinden sollte, wo es nicht an Heu und Wasser mangelte und es voller Wehmut von den heißen Tagen in den weiten, khakifarbenen Ebenen der Klatsch-Wüsten träumen konnte. Die Verwirrung des Elefanten verwandelte sich nach und nach in Nervosität.
    Es dürfte bald klarwerden, daß es für seine wachsende Rastlosigkeit auch noch einen anderen Grund gibt, der hier nicht unerwähnt bleiben soll. Während des allgemeinen Durcheinanders bei den Vorbereitungen fand sein Rüssel durch Zufäll den zeremoniellen Kelch, der fünf Liter besonders starken Wein enthielt. Nun, inzwischen hat sich der Mageninhalt des Elefanten um die entsprechende Flüssigkeitsmenge erweitert.

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