Gevatter Tod
Herr«, fügte Albert hinzu. »Er meinte allerdings, du brauchtest dich nicht zu beeilen.«
»Oh.« Mort starrte auf den Tisch. »Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Er wies darauf hin, es sei sein erster freier Abend seit tausend Jahren gewesen«, antwortete Albert. »Er summte. Schien geradezu – fröhlich zu sein. Gefällt mir ganz und gar nicht. Ich habe ihn noch nie zuvor in dieser Weise erlebt.«
»Hm.« Mort nutzte die gute Gelegenheit. »Äh, bist du schon lange hier?«
Albert musterte ihn über den Rand seiner Brille hinweg. .
»Vielleicht«, erwiderte er. »Es fällt einem schwer, nicht mit dem Kalender durcheinanderzugeraten, wenn man sich außerhalb der Zeit befindet. Ich kam kurz nach dem Tod des alten Königs hierher.«
»Welchen König meinst du, Albert?«
»Ich glaube, er hieß Artorollo. Ein kleiner dicker Mann mit piepsiger Stimme. Ich hab ihn nur einmal gesehen.«
»Und wo?«
»In Ankh natürlich.«
»Was?« entfuhr es Mort. »In Ankh-Morpork gibt es keine Könige. Das weiß doch jeder.«
»Nun, es liegt schon ein paar Jährchen zurück«, sagte Albert. Er griff nach Tods persönlicher Teekanne, setzte sich ebenfalls und blickte verträumt in die Ferne.
Mort wartete gespannt.
»Ach, damals gab's richt'ge Könige, nich die Witzlinge von heut«, fuhr Albert fort, goß Tee auf seine Untertasse und kühlte ihn, indem er mit dem Ende seines Schals wedelte. »Es handelte sich um richtige Monarchen. Ich meine, sie war'n weise und gerecht – wenn sie sich daran erinnerten. Wenn sie einen guten Tag hatten. Wenn sie nicht gerade ihre Folterkammern modernisierten.« Der alte Mann dachte einige Sekunden lang nach. »Natürlich wurden sie manchmal böse. Tja, niemand is ein Heiliger. Abgesehen von den Heiligen. Wenn ihnen jemand nich in den Kram paßte… Rübe ab, zackzack. Sie fackelten nich lange, nein, das nich. Ach, und die Königinnen… Sie war'n alle groß und schlank und angemessen blaß, und sie trugen so komische Mützen…«
»Schleier?« fragte Mort.
»Ja, genau. Und die Prinzessinnen war'n so schön, wie der Tag lang ist, ja, und so edel und sanft und zart, daß sie Pampelmusen durch ein Dutzend Matratzen spüren konnten.«
»Pampelmusen?«
Albert zögerte. »Irgend etwas in der Richtung«, brummte er und winkte ab. »Wie dem auch sei: Es gab Feste und Turniere und Hinrichtungen. Eine großartige Ära.« Er liebkoste seine Erinnerungen mit einem Lächeln.
»Inzwischen scheint selbst die Zeit alt geworden zu sein«, fügte er hinzu und seufzte tief.
»Hast du noch andere Namen, Albert?« erkundigte sich Mort.
Der alte Mann kehrte schlagartig ins Hier und Jetzt – besser gesagt: ins Dann und Drüben – zurück.
»Oh, ich weiß, worauf du hinauswillst«, sagte er scharf. »Du möchtest meinen wahren Namen in Erfahrung bringen und dann in der Bibliothek nachsehen, nicht wahr? Schnüffelst wohl gern herum, wie? Ja, ja, ich kann's mir denken. Dauernd hockst du dort in irgendeiner Ecke und liest die Leben junger Frauen…«
Offenbar hoben die Herolde der Schuld in Morts Augen ihre Fanfaren und bliesen kräftig hinein, denn Albert lachte leise und deutete mit einem krummen Zeigefinger auf ihn.
»Du solltest die Bücher wenigstens ins Regal zurückstellen«, empfahl er. »Weißt du, ich habe keine Lust, jungen Spannern nachzuräumen. Außerdem: Es ist nicht richtig, in den intimsten Erlebnissen verstorbener Fräuleins herumzustöbern. Wahrscheinlich wirst du irgendwann blind davon.«
»Aber ich habe doch nur…«, begann Mort, erinnerte sich an das feuchte Spitzentaschentuch und schwieg.
Er überließ Albert das Geschirrspülen und kehrte in die Bibliothek zurück. Matter Sonnenschein fiel durch die hohen Fenster, strich wie sanft über die zahllosen geduldigen Buchrücken und trübte allmählich ihre Farben. Ab und zu schwebte ein verirrtes Staubkorn in die dicken Lichtbalken und glühte wie eine winzige Supernova.
Mort lauschte und hörte ein leises, emsiges Kratzen: Die Bücher schrieben sich selbst.
Früher hätte er ein solches Geräusch als gespenstisch empfunden, doch nun wirkte es irgendwie – beruhigend. Es bewies ihm, daß der Kosmos noch immer funktionierte und wie geschmiert lief. Sein Gewissen hatte nur auf ein solches Stichwort gewartet und spottete mit viel zu deutlicher Ironie: Nun, du hast recht, mit der Eisenbahn des Universums ist soweit alles in Ordnung, aber die Geleise führen in die falsche Richtung.
Mort wanderte durch das Labyrinth aus Regalen, fand
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