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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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hinzu.
    »Aber… äh, ja… Hoheit«, stotterte der Mann und brach ab.
    Dann erinnerte er sich an seine ganz persönliche Wirklichkeit, drehte sich ruckartig um und setzte das Gespräch fort.
    Eine Zeitlang blieb Keli still sitzen, von Entsetzen und Wut wie gelähmt. Schließlich schob sie den Stuhl fort, stand auf, stürmte aus dem Saal und zog sich in ihre Gemächer zurück. Zwei Bedienstete, die im Korridor standen und Schinkenrollen von einem Tablett stibitzten, wurden plötzlich beiseite gestoßen, was ihren Glauben an Schloßgespenster erhärtete.
    Keli eilte in ihre Kammer und zog an der Kordel, die eine Klingel im Zimmer der Tageszofe betätigte. Normalerweise war die Dienerin innerhalb weniger Sekunden zur Stelle, aber diesmal ließ sie sich bemerkenswert viel Zeit. Nach einer Weile drehte sich der Knauf, und die Tür schwang ganz langsam auf. Ein besorgtes blasses Gesicht erschien im Spalt.
    Die Verwirrung in den bleichen Zügen entging Keli nicht, und diesmal hatte sie sich innerlich darauf vorbereitet. Sie packte die Zofe an den Schultern, zerrte sie ins Zimmer und stieß die Tür zu. Als die Frau nur ins Leere starrte und sich erstaunliche Mühe gab, den Blick der Prinzessin zu meiden, holte Keli entschlossen aus und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige.
    »Hast du das gespürt?« fragte sie. »Na?«
    »Ich, äh… ja…«, stammelte die Zofe unsicher, taumelte zurück, stieß ans Bett und ließ sich ruckartig auf die Matratze sinken.
    »Sieh mich an!« entfuhr es Keli. Sie trat näher. »Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche! Du kannst mich sehen, nicht wahr? Sag mir, daß du mich sehen kannst, wenn du nicht auf der Stelle hingerichtet werden willst!«
    Die Zofe blinzelte und bemerkte zorniges Funkeln in königlichen Augen.
    »Ich kann dich sehen«, bestätigte sie. »Aber…«
    »Aber was? Aber was ?«
    »Du bist doch… Ich meine, ich habe gehört… Ich dachte eigentlich…«
    »Was hast du gedacht?« fragte Keli scharf. Sie schrie nun nicht mehr. Statt dessen hatten ihre leisen Worte die Qualität akustischer Peitschenhiebe.
    Die Zofe ließ den Kopf hängen und schluchzte. Keli klopfte eine Zeitlang mit dem Fuß auf den Boden, bevor sie die Frau wütend schüttelte.
    »Gibt es einen Zauberer in der Stadt?« fragte sie. »Sieh mich an! Du sollst mich ansehen. Wo wohnt der nächste Zauberer? Du und die anderen Zofen… Ihr habt doch bestimmt einen Magier besucht, um euch irgendwelche Liebestränke zu holen, stimmt's? Nenn mir seine Adresse!«
    Die Frau hob den Kopf, wischte sich Tränen aus den Augen und versuchte, den Blick auf Keli zu richten – obgleich die Stimme der Vernunft nach wie vor behauptete, die Prinzessin sei tot.
    »Äh, ein Zauberer – ja. Schneidgut, in der Mauergasse…«
    Ein dünnes Lächeln umspielte Kelis Lippen. Sie überlegte, wo man ihre Mäntel aufbewahrte, hielt es jedoch für besser, die Zofe nicht mit einer entsprechenden Frage zu belasten und selbst mit der Suche nach dem königlichen Kleiderschrank zu beginnen. Sie wartete und beobachtete die Frau aufmerksam. Nach einer Weile verklang ihr Schluchzen, und sie sah sich verwirrt um, bevor sie hastig den Raum verließ.
    Sie hat mich bereits vergessen, dachte Keli und starrte auf ihre Hände hinab. Sie waren keineswegs transparent.
    Magie. Ja, zweifellos.
    Die Prinzessin betrat das Nebenzimmer und öffnete versuchsweise einige Schränke, bis sie einen schwarzen Kapuzenumhang fand. Rasch streifte sie ihn über, huschte in den Flur und schlich über die Dienstbotentreppe.
    Diesen Weg hatte sie noch nie zuvor genommen. Sie durchstreifte eine Welt, die zum größten Teil aus Truhen mit schmutziger Wäsche, kahlen Wänden, Speiseaufzügen und Serviertischen bestand. Es roch nach schimmeligem Brot.
    Keli durchwanderte den Kosmos des Gewöhnlichen wie ein ans Diesseits gebundener Geist. Sie wußte natürlich, daß die Schloßbediensteten irgendwo wohnten und arbeiteten – ein Gebot der Notwendigkeit, das auch für die Existenz von Abflüssen und Kanalisationssystemen galt. Darüber hinaus hielt sie es für möglich, daß die Zofen, Knechte und alle anderen von ihren Verwandten und Freunden identifiziert werden konnten, obgleich sie sich sosehr ähnelten. Doch diese Überlegungen bereiteten sie nicht auf einen ganz besonderen Anblick vor. Bisher kannte sie den Weinkellner Moghedron nur als eine erhabene Präsenz, die Würde ausstrahlte und sich wie eine Galeone bewegte, die gerade volle Segel gesetzt hatte. Und deshalb

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