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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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den Hocker und stellte fest, daß die Bücher verschwunden waren. Albert befand sich nach wie vor in der Küche, und Tod hatte die Bibliothek nicht betreten. Also kam nur Ysabell in Frage. Was las sie? Wonach hielt sie Ausschau?
    Der Lehrling sah hoch und ließ den Blick über die vielen Bände schweifen. Es lief ihm kalt über den Rücken, als er daran dachte, was sich nun anbahnte…
    Es blieb ihm gar keine andere Wahl: Er mußte sich jemandem anvertrauen.
     
    Auch für Keli war das Leben nicht gerade einfach.
    Es lag daran, daß die Kausalität ein ziemlich großes Trägheitsmoment besaß. Morts Sensenhieb, der aus Zorn, Verzweiflung und aufkeimender Liebe den falschen Hals traf, hatte den Zug aus Ursache und Wirkung auf andere Schienen gelenkt (um im Bild zu bleiben), doch irgend jemand versäumte es, dem Schicksal eine entsprechende Mitteilung zu machen. Um einen anderen Vergleich zu benutzen: Tods Gehilfe hatte auf den Schwanz eines Dinosauriers getreten, aber es dauerte noch eine Weile, bis das andere Ende begriff, daß ein ›Autsch‹ angebracht war.
    Das Universum wußte von Kelis Tod und nahm deshalb mit verständlicher Überraschung zur Kenntnis, daß sie noch immer herumlief und atmete.
    Die kosmische Verblüffung kam auf verschiedene Weise zum Ausdruck. Einige Höflinge musterten die Prinzessin verwirrt und wußten nicht so recht, warum sie sich in ihrer Nähe unsicher fühlten. Sie übersahen Keli oder sprachen mit gedämpften Stimmen, was sie mit einer gewissen Verlegenheit erfüllte – und in des Königs Tochter nicht unerheblichen Ärger weckte.
    Der Kämmerer ertappte sich bei der Anweisung, die Schloßfahne auf Halbmast zu setzen – und wußte beim besten Willen nicht, was ihn zu einer solcher Order veranlaßte. Man brachte ihn mit einem leichten Nervenzusammenbruch zu Bett, nachdem er bei den Stadtschneidern aus keinem ersichtlichen Grund tausend Ellen schwarzen Trauerstoff bestellt hatte.
    Das seltsame Gefühl wachsender Irrealität breitete sich im ganzen Palast aus. Der Erste Kutscher beauftragte seine Assistenten, die Andachtskarosse auf Hochglanz zu bringen, betrachtete sie anschließend und weinte in sein Gamsleder, weil er sich nicht daran erinnern konnte, wessen Sarg zum Friedhof transportiert werden sollte. Bedienstete wandelten mit gesenkten Häuptern durch die Gänge und sahen sich immer wieder verwundert um. Der Koch widerstand nicht der Versuchung, ein schlichtes Bankett aus kaltem Fleisch vorzubereiten. Hunde bellten, wurden gleich darauf wieder still und kamen sich ziemlich dumm vor. Die beiden schwarzen Hengste, denen traditionsgemäß die Aufgabe zukam, die Bestattungskutsche zu ziehen, wurden so unruhig, daß sie fast einen Stallknecht zertrampelten.
    Unterdessen wartete der Herzog von Sto Helit vergeblich auf einen von ihm ausgesandten Kurier. Der betreffende Mann ritt sofort los, doch nach wenigen hundert Metern zügelte er sein Pferd und fragte sich verwirrt, worin sein Auftrag bestand.
    Keli spürte, wie die Distanz zu den Geschehnissen in ihrer unmittelbaren Umgebung wuchs. Mehrmals zwickte sie sich selbst, um ganz sicher zu sein, daß sie wirklich noch lebte. Und ihr Zorn schwoll an.
    Gegen Mittag erreichten die Ereignisse einen ersten Höhepunkt. Keli betrat den großen Speisesaal und mußte feststellen, daß vor dem königlichen Stuhl ein Teller fehlte. Mit einigen lauten und sehr deutlichen Worten an den Diener gelang es ihr, Abhilfe zu schaffen. Aber anschließend wurden die Schüsseln und Tabletts an ihr vorbeigereicht, ohne daß sie eine Möglichkeit bekam, von ihrer Gabel Gebrauch zu machen. Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Verdruß beobachtete sie, wie der Weinkellner zuerst das Glas des würdevoll dreinblickenden Abort-Ministers füllte.
    Keli ließ sich zu einer ganz und gar unmajestätischen Verhaltensweise hinreißen und streckte das Bein aus. Der Kellner stolperte, murmelte etwas Unverständliches und starrte auf die Fliesen.
    Die Prinzessin beugte sich zur Seite und rief dem Staatsrat für die Speisekammer ins Ohr: »Kannst du mich sehen, Mann? Warum müssen wir uns mit kaltem Schweinefleisch und Schinken begnügen?«
    Der Staatsrat unterbrach ein geflüstertes Gespräch mit der Dame Des Kleinen Achteckigen Zimmers Im Nordturm und musterte Keli einige Sekunden lang. Seine Überraschung wurde allmählich zu vager Verwirrung. »Ich, äh, nun, ich glaube, ich sehe Euch tatsächlich…«
    »Euer Königliche Hoheit«, fügte Keli drohend

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