Gevatter Tod
zufriedengegeben, doch dieser Mann hatte das Zeug zum Offizier.
»Ich meine, bist du Freund oder Feind?« stammelte er und versuchte, Morts Blick zu meiden.
»Was wäre dir lieber?« fragte Tods Lehrling und lächelte. Zwar konnte er sich nicht mit dem Lächeln des Knochenmanns messen, aber sein Grinsen erwies sich als recht beeindruckend, zumal es völlig humorlos blieb.
Der Wächter seufzte erleichtert und trat zur Seite.
»Du kannst passieren, Freund«, sagte er.
Mort schritt durch den Saal und näherte sich der Treppe, die zu den königlichen Gemächern führte. Der große Raum hatte sich sehr verändert, seit er ihn zum letztenmal gesehen hatte. Überall sah er Bilder von Keli; sie ersetzten sogar die alten und verstaubten Banner an der hohen Decke. Wer durchs Schloß wanderte, konnte unmöglich mehr als nur einige wenige Meter zurücklegen, ohne daß sein Blick auf ein Porträt der Prinzessin fiel. Ein Teil von Morts Bewußtsein fragte sich nach dem Grund, während ein anderer besorgt an die gespenstische Grenzfläche dachte, die sich langsam der Stadt näherte, an eine Kuppel, die immer mehr schrumpfte und in deren Zentrum sich Sto Lat befand. Hauptsächlich aber herrschte in seinem Ich eine heiße Glut aus Zorn, Verblüffung und Eifersucht. Ysabell hat recht, fuhr es ihm durch den Sinn. Dies muß Liebe sein.
»Der Junge, der durch Wände geht!«
Mort hob ruckartig den Kopf. Schneidgut stand am oberen Ende der Treppe.
Auch der Zauberer hatte sich stark verändert, stellte Tods Lehrling verbittert fest. Aber vielleicht nicht gründlich genug. Er trug noch immer einen schwarz und weiß gemusterten, mit Pailletten besetzten Umhang, und auf seinem Kopf ruhte ein Hut, der mindestens einen Meter hoch und mit mehr mystischen Symbolen verziert war als eine Zahnkarte. Darüber hinaus steckten seine Füße in roten Samtschuhen, die vorn spitze, schlangenartige Schnörkel und an den Seiten silberne Spangen aufwiesen. Doch am Kragen zeigten sich nach wie vor einige Flecken, und außerdem kaute Schneidgut hingebungsvoll.
Er beobachtete, wie Mort die Treppe hochstieg.
»Bist du auf irgend etwas sauer?« fragte er. »Ich habe mit der Arbeit begonnen, glaub mir, doch ich mußte mich auch um einige andere Dinge kümmern. Tja, es ist gewiß nicht leicht, durch Wände… Warum siehst du mich so an?«
»Was tust du hier?«
»Die gleiche Frage könnte ich dir stellen. Möchtest du eine Erdbeere?«
Mort starrte auf den kleinen Bastkorb des Zauberers.
»Mitten im Winter?«
»Eigentlich ist es Rosenkohl mit einer Prise Magie.«
»Und schmeckt er wie Erdbeeren?«
Schneidgut seufzte. »Nein, wie Rosenkohl. Die Zauberformel ist nicht ganz perfekt. Ich hoffte, der Prinzessin eine Freude zu bereiten, aber sie warf damit nach mir. Tja, es wäre eine Schande, sie in den Abfall zu werfen. Probier mal!«
Mort starrte Schneidgut durchdringend an.
»Keli hat damit nach dir geworfen?«
»Leider muß ich das bestätigen. Eine ziemlich eigenwillige junge Dame.«
Aber hallo! sagte eine Stimme hinter Morts Stirn. Du bist wieder im Rennen. Begreifst du denn nicht, du Dummkopf? Die Chance, daß Keli Duweißtschon mit diesem Burschen erwägt, sind geringer als null.
Laß mich endlich in Ruhe! erwiderte Mort. Sein Unterbewußtsein besorgte ihn. Offenbar hatte es einen direkten Draht zu Körperteilen, die er derzeit nicht beachten wollte.
»Warum bist du hier?« fragte er laut. »Hat deine Anwesenheit etwas mit den vielen Bildern zu tun?«
»Tolle Idee, nicht wahr?« Schneidgut strahlte. »Ich bin recht stolz darauf.«
»Entschuldige bitte!« Mort stöhnte leise. »Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir und würde mich gern irgendwo ausruhen.«
»Wie wär's mit dem Thronsaal?« schlug Schneidgut vor. »Um diese Zeit hält sich dort niemand auf. Alle schlafen.«
Mort nickte und musterte den jungen Zauberer mißtrauisch. »Warum bist du noch auf, hm?«
»Äh«, antwortete Schneidgut. »Äh, ich wollte nur einen ganz kurzen, äh, Blick in die Speisekammer werfen.«
Er hob die Schultern. 6
An dieser Stelle soll folgendes nicht unerwähnt bleiben: Schneidgut bemerkte, daß Mort – obgleich vom Reiten müde und aufgrund des fortgesetzten Schlafmangels erschöpft – von innen heraus glüht. Auf eine seltsame Art und Weise, die nichts mit körperlichen Ausmaßen zu tun hat, wirkt er größer als das Leben. Nun, Schneidgut hat genug einschlägige Erfahrungen gesammelt, um seine Mitmenschen einzuschätzen, und er weiß auch,
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