Gevatter Tod
Dort hing ein Porträt der Prinzessin und lächelte zum dunklen Himmel empor.
»Erzähl mir von den Bildern!« bat er. »Mir scheint, sie haben irgend etwas Magisches an sich.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob sie den angestrebten Erfolg erzielen. Weißt du, die Leute wurden unruhig und wußten überhaupt nicht, warum sie sich von einer solchen Nervosität heimgesucht fühlten. Das machte alles noch schlimmer. Ihre Gedanken weilten in einer Realität und die Körper in einer anderen. Ziemlich unangenehm. Sie konnten sich nicht an die Vorstellung gewöhnen, daß die Prinzessin noch lebt. Ich hielt die Bilder zunächst für eine gute Idee, aber… Nun, Menschen übersehen Dinge, die von ihren Gehirnen abgelehnt werden.«
»Darüber bin ich mir bereits klar«, kommentierte Mort deprimiert.
»Ich habe die Ausrufer auch am Tag durch die Stadt geschickt«, fuhr Schneidgut fort. »Ich hoffte, die Leute von Kelis Existenz überzeugen zu können und dadurch diese Wirklichkeit wirklich werden zu lassen.«
»Mmpf?« fragte Mort und wandte sich vom Fenster ab. »Wie meinst du das?«
»Nun – ich dachte, wenn genug Bewohner von Sto Lat an die Prinzessin glaubten, seien sie in der Lage, dadurch die Realität zu ändern. Was Götter betrifft, funktioniert das ausgezeichnet. Wenn Menschen aufhören, an einen Gott zu glauben, stirbt er. Und je mehr sie an ihn glauben, desto stärker wird er.«
»Das wußte ich nicht. Ich bin immer davon überzeugt gewesen, Götter seien eben Götter.«
»Sie haben es nicht gern, wenn man darüber redet«, sagte Schneidgut, trat an den Tisch heran und suchte inmitten der Bücher und Pergamentrollen.
»Nun, bei Göttern mag so etwas klappen, weil sie etwas Besonderes darstellen«, murmelte Mort. »Aber Menschen sind – nun, stofflicher. Ich meine, man kann sie anfassen, mit ihnen reden. Ich bezweifle; ob in diesem Fall allein der Glaube genügt.«
»Vielleicht irrst du dich. Nehmen wir einmal an, du verläßt dieses Zimmer und durchstreifst den Palast. Irgendwann sieht dich ein Wächter und nimmt an, du seist ein Dieb. Bestimmt schießt er mit seiner Armbrust auf dich. In seiner Realität bist du ein Eindringling, der etwas stehlen will. Eigentlich stimmt das nicht, aber das spielt keine Rolle: Du wärst trotzdem tot. Ja, der Glaube ist sehr mächtig. Ich habe gehört, er könne sogar Berge versetzen. Vertrau mir. Wir Zauberer wissen über solche Dinge Bescheid. Ah, hier haben wir's ja.«
Schneidgut zog ein Buch aus dem allgemeinen Durcheinander und schlug es dort auf, wo ein Schinkenstreifen als Lesezeichen diente. Mort blickte ihm über die Schulter und runzelte die Stirn, als er die schnörkelige magische Schrift sah. Die einzelnen Zeichen bewegten sich dauernd, krochen zitternd über die Seiten und lehnten es ab, von einem Nichtzauberer gelesen zu werden. Das wirre Buchstabenbrodeln wirkte außerordentlich verwirrend.
»Was hat es damit auf sich?« fragte Mort nach einer Weile.
»Es ist das Buch der Magie, verfaßt von dem Magus Alberto Malich«, erwiderte Schneidgut. »Eine Art theoretisches Werk über die Zauberei. Ich rate dir übrigens nicht, die einzelnen Worte allzu lange anzustarren – so etwas mögen sie nicht. Nun, an dieser Stelle heißt es…«
Seine Lippen vibrierten lautlos. Winzige Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn und beschlossen, einen gemeinsamen Ausflug zu machen und die Nase zu besuchen. Die Augen tränten.
Manchen Leuten gefällt es, sich mit einem guten Buch an den Kamin zu setzen. Aber niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde es wagen, in einem Werk über Magie zu schmökern. Alle darin enthaltenen Worte führen ein ebenso gespenstisches wie rachsüchtiges Eigenleben, und wer sie zu lesen riskiert, läßt sich auf ein geistiges Freistilringen ein. So mancher junge Zauberer hat versucht, sich mit einem Band zu beschäftigen, der zu stark für ihn war. Wer in solchen Fällen die schrillen Schreie vernahm und herbeieilte, fand nur noch leere Schnabelschuhe, aus denen der für solche Szenen obligatorische Rauch quoll – und ein Buch, das vielleicht ein wenig dicker geworden war. Wer mutig genug ist, sich in magischen Bibliotheken die Zeit zu vertreiben, dem können die entsetzlichsten Dinge zustoßen; im Vergleich dazu ist es kaum mehr als eine leichte Massage, sich von einem Ungeheuer aus den Kerkerdimensionen das Gesicht abreißen zu lassen.
Glücklicherweise handelte es sich bei Schneidguts Ausgabe um ein zensiertes und exorziertes
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