Gevatter Tod
Verantwortungsbewußtsein wahr.«
»Ich schätze, die Knoten kommen ein oder zwei Tage lang allein zurecht«, vermutete Mort.
Ein stimmungsmäßiger Temperatursturz teilte ihm mit, daß er sich irrte. Er musterte Ysabell und Albert.
»Nein?« fragte er.
Der alte Mann und das Mädchen schüttelten den Kopf.
»Wenn die Knoten nicht richtig bestimmt werden, gerät das kosmische Gleichgewicht in Gefahr«, sagte Ysabell. »Dann könnte praktisch alles passieren.«
»Hat er dir das nicht erklärt?« warf Albert ein.
»Leider nicht«, erwiderte Mort. »Tod machte mich nur mit der praktischen Seite vertraut. Die theoretischen Aspekte wollte er mir später erläutern.«
Ysabell schluchzte laut.
Albert berührte Mort am Arm, hob und senkte mehrmals die Brauen – was bei ihm besonders dramatisch wirkte – und verdeutlichte ihm damit, daß er ein Gespräch unter vier Augen für angebracht hielt. Mort folgte ihm widerstrebend in eine Ecke des Zimmers.
Der alte Mann suchte in seinen Taschen und holte schließlich eine kleine zerknitterte Papiertüte hervor.
»Pfefferminz gefällig?« fragte er.
»Nein, danke.«
»Tod hat dir nie von den Knoten erzählt?« erkundigte sich Albert.
»Bisher nicht.«
Albert saugte an einem Pfefferminzbonbon – es klang so, als ziehe jemand den Stöpsel einer göttlichen Badewanne.
»Wie alt bist du, Junge?«
»Mort. Ich bin sechzehn.«
»Bevor er sechzehn wird, sollte ein Junge gewisse Dinge erfahren«, sagte Albert, sah verstohlen über die Schulter und beobachtete Ysabell, die auf Tods Stuhl Platz genommen hatte und bemerkenswert leise weinte.
»Oh, darüber weiß ich Bescheid. Mein Vater sprach mehrmals davon, als er die Tharga-Kühe zu den Stieren brachte. Wenn ein Mann und eine Frau…«
»Nein, ich meine das Universum im allgemeinen«, sagte Albert hastig. »Ich meine, hast du jemals darüber nachgedacht?«
»Nun…«, brummte Mort. »Wenn ich mich recht entsinne, wird die Scheibenwelt von vier Elefanten getragen, die auf dem Rücken der Schildkröte Groß-A'Tuin stehen.«
»Das ist noch längst nicht alles. Ich meine das ganze Universum mit Raum und Zeit und Leben und Tod und Tag und Nacht und dem ganzen Rest.«
»Ich fürchte, bisher habe ich nicht allzu viele Gedanken daran verschwendet«, gab Mort zu.
»Schade. Es wäre durchaus angebracht gewesen. Ich will auf folgendes hinaus: Die Knoten sind ein wichtiger Teil des Kosmos. Sie verhindern, daß der Tod außer Kontrolle gerät. Natürlich nicht der Tod, den wir alle kennen und der jetzt dort am Schreibtisch sitzen sollte, sondern der Tod an sich, das normale Sterben. Ich meine…« Albert rang sichtlich mit seinem Vokabular. »Um dir ein Beispiel zu nennen: Der Tod sollte genau am Ende des Lebens erfolgen, nicht vorher oder nachher. Und die Knoten müssen so berechnet werden, damit die Schlüsselfiguren… Du kannst mir nicht folgen, oder?«
»Tut mir leid.«
»Nun, die Knoten müssen mit der gebotenen Exaktheit bestimmt werden, damit man anschließend die richtigen Personen – die richtigen Lebensuhren – auswählen kann. Die eigentliche PFLICHT ist dagegen nicht weiter schwer.«
»Bist du in der Lage, die Berechnung vorzunehmen?«
»Nein. Du?«
»Nein!«
Albert lutschte nachdenklich an dem Pfefferminzbonbon. »Dann sitzt die ganze Welt in der Tinte«, kommentierte er.
»Ich begreife gar nicht, warum du dir solche Sorgen machst«, sagte Mort. »Wahrscheinlich ist Tod nur irgendwo aufgehalten worden.« Es gelang ihm nicht einmal, sich selbst zu überzeugen. Tod gehörte nicht gerade zu den Leuten, denen man gern eine Geschichte erzählte. Niemand klopfte ihm auf den Rücken und sagte: ›He, Kumpel, warum so eilig? Wie wär's mit einem Bier in der Eckkneipe?‹ Man bat ihn nicht darum, an einer Kegelpartie teilzunehmen, und kaum jemand käme wohl auf den Gedanken, ihn zum Essen in ein Restaurant einzuladen… Mort empfand fast schmerzliches Mitleid, als er daran dachte, daß sein Lehrmeister das einsamste Geschöpf im ganzen Universum war. Bei der Großen Kosmischen Party blieb Tod in die Küche verbannt.
»In den letzten Tagen hat sich unser Herr sehr verändert«, sagte Albert kummervoll. »Gib den Stuhl frei, Mädchen! Sehen wir uns mal die Knoten an.«
Sie öffneten das Hauptbuch.
Sie starrten eine Zeitlang darauf hinab.
Schließlich fragte Mort: »Was bedeuten die ganzen Symbole?«
»Ichus non sapiens«, raunte Albert.
»Wie bitte?«
»Ich meine: Mich soll der Schlag treffen, wenn ich wüßte,
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