Gewäsch und Gewimmel - Roman
Straßen zogen.«
Da lächelte der Herr Scheffer.
Er tat es auf eine so behagliche, ja erlöste Art, daß jeder, der ihn kannte, wußte: Nun taucht er ein in sein Element. In der Hartmann-Geschichte verbarg sich ein Köder für ihn. Er würde den Erzählfaden aufnehmen und eine ganze Weile seinen Pflichten als Unterhalter anwesender Damen mit größtem Vergnügen und so melodiös wie nur möglich nachkommen.
In Paris, unmittelbar am Parc du Luxembourg, gebe es eine fürstliche Wohnung mit allem, was man sich nur wünschen könne, mit Stuck und Parkett, einer langgestreckten, durch nichts verstellten Fensterfront à la francaise, einer Kette mit Spiegeln und schönsten Möbeln ausgestatteter Salons, einer weißen und taubenblauen Salonflucht, wie man sie aus dem Schloß Sanssouci kenne, einem flammend roten chinesischen Kabinett voller Raritäten, diversen Schlafzimmern, drei Bädern, drei separaten Toiletten, einer sternförmigen Empfangsdiele, von der aus in fünf Richtungen die Wohnung verlaufe, und eben, wie gesagt, der ganz unvergleichlichen Aussicht in die Bäume des vielbesungenen Parks, aus einer komfortablen Höhe, zu der sich viele aus der Menge der Parisbesucher gewiß im Vorbeischlendern hochträumten.
Hatte Hans die Wohnung je gesehen? Nein, nie. Mehr noch als die Hartmann-Brüder von Luise sei sie für ihn ein Mythos, eine phantastische Überlieferung gewesen. Die Räume allerdings hatten andere Familienmitglieder besichtigt und deren Großartigkeit ohne Abstriche bestätigt.
Der spätere Besitzer und Gestalter der Räume sei der sehr wohlhabende Erbe einer Pariser Druckmaschinenfabrik gewesen, der als junger Mann von einer rätselhaften Lähmung, die den gesamten Körper erfaßt habe, befallen wurde. Nach langem Kampfmit der Krankheit habe er jedoch ein Medizinstudium absolvieren können und, ein ganzes Berufsleben lang, als Anästhesist praktiziert. Er, Hans, glaube, vom Rollstuhl aus, so habe er es jedenfalls verstanden. Niemals sei ihm ein Patient, ob mit mächtiger oder geringer Körpermasse, während der Operation aufgewacht oder für immer entschlafen. Ein reicher, äußerst frommer und erfolgreicher, durch sein Leiden stark gezeichneter Mann von offenbar enormer Willensstärke.
Was aber hatte er um Himmels willen mit der luxuriösen Wohnung gewollt, diesem Miniatur-Versailles in der Innenstadt von Paris?
Er habe sie, neben einem Besitz an der Atlantikküste, als Ferienaufenthaltsstätte für seine Schwiegermutter und die drei Töchter Natalie, Pauline, Simone gekauft. Seine Ehefrau sei bei der Geburt der jüngsten Tochter gestorben.
Die drei Duvalier-Töchter also! Natalie, Pauline, Simone! Alle recht tüchtig in ihrem Beruf. Sängerinnen? Pianistinnen? Malerinnen? Das gerade nicht! Natalie sei eine international gefragte Spezialistin für computergesteuerte Logistik in großen Verkehrsbetrieben, wenn er, Hans, so sagen dürfe. Pauline arbeite als Chirurgin. Simone, wenn er das jetzt nicht verwechsle, als Pharmazeutin. Nötig hatten sie, wie der Vater, einen Brotberuf natürlich nicht.
»Natalie, Pauline, Simone.« Es sei merkwürdig, sagte Hans, träumerisch, er könne die Namen nur in dieser ihrem Alter entsprechenden Reihenfolge sagen, Vertauschungen seien ein Sakrileg für ihn.
»Wie alt?« brach es nun doch indiskret direkt aus Sabine hervor.
Ach, er müsse nachdenken, er vermute, sie befänden sich heute zwischen 45 und 55 Jahren: »Im Prinzip hätte ich sie alle drei heiraten können, Natalie, Pauline, Simone«, rief Hans, als wollte er sie beschwörend herbeizwingen. Ein unerhört beschwingtesAroma sei für ihn allein dank ihrer Namen durch die Stadt geflutet, lange bevor er sie gesehen habe.
»Die Stadt oder die Schwestern, was meinst du jetzt?«
Er spreche von beidem.
»Welche lebt mit Mann und Kindern in der Wohnung. Etwa alle drei?«
Sie seien alle drei ledig geblieben, vermutlich sogar jungfräulich.
Ach! Es war Luise Wäns, die sich traute, die allerwichtigste Frage zu stellen: »Sind es denn tatsächlich solche Schönheiten, sind es zumindest irgendwann welche gewesen?« Sie stellte sich dabei vor, ein einziges Mal in Gegenwart von Hans ihre roten, weiß gepunkteten Schuhe anzuziehen, die sie vor vielen Jahren in Paris gekauft hatte.
Hans lehnte sich weit zurück und sah auf eine phantastische, auch philosophische Weise die Zimmerdecke an. Zunächst kerbten sich die Mundwinkel ein, wie Frau Wäns es so liebt. Dann schüttelte er bedächtig den Kopf, als habe auch
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