Gewäsch und Gewimmel - Roman
kann Iris der Person die Mähne ja nicht ruckzuck abschneiden.
Frau Wäns ahnt das alles in ihrem Rollstuhlwinkel, dort, wo bei den ersten Treffen der fröhlichen Gruppe ihr Sessel gestanden hat, ist dann aber doch platt zu hören, daß die Libelle die Krankentherapeutin fragt, ob auch ihr die »Wollust« bekannt sei, die Umrisse des Bildes zu spüren, das ein Liebhaber sich von »uns« mache und sich diese, »natürlich töricht männlichen Mißverständnisse« wie ein neues Kleid für eine Weilchen anzuziehen?
Eins ist klar. Bei Sabine hätte sie sich nie nach solchen Finessen erkundigt. Frau Wäns lacht in sich hinein, obschon es unter den Rippen noch immer etwas schmerzt, als Elsa bloß antwortet: »Frau Steinert, Sie haben eklatante Haltungsschäden.«
In der Nacht sagt Elsa, eine flüchtige Eingebung, zu ihrem Freund über die Galeristin: »Diese Person ist beides gleichzeitig: einerseits eine allerfeinste Trüffelpraline ›nach original überliefertem Rezept‹, andererseits die ernüchternde Angabe der Zutaten auf der Rückseite der Verpackung mit Verfallsdatumsstempel.«
Das zweite Gesicht
Der vielbeschäftigte Gynäkologe Detlef Herzer, der seit einiger Zeit getrennt von seiner ein wenig überaparten Frau Jeanette lebt – ein Entschluß, den er für vernünftig hielt, der ihm aber zu schaffen macht, weil er den eigentlichen Grund vergessen hat (seine Eifersucht auf Hans Scheffer, den er, Herzer, im Grunde ziemlich vermißt? Untreue seinerseits? Ein nicht aus der Welt zu schaffendes Knirschen zwischen ihnen beiden?) –, sitzt jetzt abends am Schreibtisch in der leeren Wohnung, kritzelt auf einen Rezeptblock seinen Vornamen, hinten mit v, dann mit f, dann wieder mit v. Er fragt sich, was wohl richtiger ist: Detlev? Detlef? Ein neues Leben durch das v?
Heute hat er in der Nähe des Supermarkts zwischen den Containern einen unmenschlich großen Hintern gesehen, der sich in einer glutroten Hose rührte, ein weibliches Gesäß, das an Masse selbst seine bisherigen, durch die Praxis gut trainierten Vorstellungen überstieg, einen unter Stoff verborgenen, bebenden Fleischhaufen, der ihn anblickte. Andere Hinweise auf zusätzliche Körpermerkmale waren nicht auszumachen. Nur ließ sich vermuten, daß die ergänzenden Teile zwischen Abfallbehältern und Fahrradständern etwas suchten. Dieses Ding aber, das ihn da ansah, rotäugig anglotzte, stellte ihn für einen Moment an die Wand.
Innerlich hob er beide Hände hoch, äußerlich verzog er keine Miene. Später sah er das andere Ende, die zweite Seite, das Menschengesicht, das zum rot bekleideten Hintern gehörte.
Fast wirkte jenes blinder als dieser.
Drei Brüder, drei Schwestern
Es war still beim Abendessen. Hans saß am Tisch, Hans, der Ehemalige, König Hans i. R. vom Hochmoor. Sabine hielt wie dann meist ein bißchen den Atem an, es verschlug ihr die Sprache, noch immer, meinte Frau Luise, obschon das Kind, ihr etwa fünfzigjähriges Mädchen, seit Monaten Frau Scheffer hieß. Das allerdings bisher ohne Hochzeitsreise. Das Glück der unansehnlichen Tochter durch den Mann, den die Frauen und Männer so liebten, war noch zu groß, um sie gesprächig zu machen.
Luise Wäns, die hier notgedrungen die gute Mutter sein mußte, obschon es kaum zu ertragen war, erzählte, um es im Zimmer ein bißchen luftiger und auch lustiger zu haben, von den drei aus lauter Bosheit pechschwarzen Hartmann-Brüdern ihrer Kindheit. Sie wußte ja, daß Herr Hans das Talent zur Plauderei schätzte, sofern man nicht mit ihm wetteifern wollte. Hatte ihre Tochter ihn, Hans, als »Causeur« nicht von Anfang an vergöttert? Auch jetzt, kaum, daß Sabine seinen Blick spürte, wechselte sie die Farbe, schlug ruckartig die Augen nieder, um nach zwei, drei Sekunden die Lider spaltweit anzuheben. Wenn sie entdeckte, daß Hans sie noch immer ansah, fasziniert, vielleicht auch ein wenig amüsiert von ihrer jungfräulichen Reaktion, senkte sie wieder die Lider und schwieg betäubt, in lauter Freude schwelgend.
»Drei Brüder«, sagte Frau Wäns. »Die Namen? Peitsche, Kacker und Tschocklett. Das Schwarz an ihnen setzten sie als unerbittliche Drohung ein, notfalls strichen sie sich die Haut an, wenn die Kleidung nicht ausreichte. Nichts Gutes, nichts Menschliches sollte an ihnen zum Vorschein kommen. Allzuoft habe ichsie in ihrer Leibhaftigkeit gar nicht gesehen. Es herrschte das Märchenhafte der grausamen drei, das genügte schon für die gefährlichen Schwaden, die unsichtbar durch die
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