Gewäsch und Gewimmel - Roman
Laken sich reckend weit die Arme aus. »Noch einmal, noch ein letztes Mal im Leben Wiesengeruch, dieser unvergleichliche, ganz unvergleichlicheWiesengeruch!« kommt ihr plötzlich, so hingedehnt, über die Lippen. Aber warum denn »zum letzten Mal«? Weil es so schön klingt?
Und schon hört sie aus der Küche den Tumult des Zusammenbruchs, das Geräusch der endlich eingetretenen Katastrophe, hört, als sie losrennt, durch die Tür das Stöhnen ihres Mannes Jan. Sie weiß, was ab jetzt auf sie zukommt, noch bevor sie die Tür aufreißt.
Es war dann doch nicht so schlimm. Das Bild für den Schlußpunkt ist aber schon mal angeliefert. Sie wird es nicht los, versteckt es jedoch, vor Jan und nach Kräften vor sich selbst.
Er hört nicht damit auf
»Was kann ich dazu«, ruft Erwin verzweifelt hinter seiner Frau her, als sie durch die Wohnungstür entwischen und er, das sehr wohl bemerkend, sie nicht so schnell in die sorglose Kioskarbeit davonkommen lassen will, »ist es meine Schuld, daß mir in den Riesenelektronikgeschäften sofort illegale Deponien in Afrika und Asien einfallen?«
»Warum aber nie, niemals die Riesenrecyclinganlagen?« schluchzt die flüchtende Frau durchs Treppenhaus zurück.
Am liebsten sieht Erwin nach solchen Wortwechseln dann lange, lange den Fliegen auf der Fensterbank zu, den Eintags-, den Stubenfliegen und anderem tastenden, die Glieder aneinanderreibenden Kleinstgetier, greisen Marienkäfern, die ihm treue Gesellschaft leisten. Er hilft ihnen auf die Beine, wenn sie auf dem Rücken liegen. Auch sie stehen umgekehrt Erwin bei, unwissentlich, aber nach Kräften. Eins schwört er sich: Er will seiner Frau, wenn sie von der Arbeit kommt, eine Freude machen, ihr nämlich nicht von dem amerikanischen Soldaten erzählen, der zum schieren Zeitvertreib einen afghanischen Zivilisten ermordet und seiner Beute als Trophäe einen Finger und als Erinnerungsstück an die Jagd einen Zahn herausgebrochen hat,während indessen die nicht zu identifizierenden Leichenteile der eigenen Soldaten von den Amerikanern jahrelang verbrannt und auf Müllkippen entsorgt wurden. Ob Anita sein Opfer zu schätzen weiß?
Anita, die allmählich von einem Mann zu träumen beginnt, der nur gute Nachrichten weitergibt, um das Weltbild derer zu schützen, die er liebt.
Es ist doch Sommer!
Frau Wäns kann mittlerweile, wenn sie will, sehr gut an Krücken durch die Wohnung gehen. »Anfang November«, erzählt sie Elsa, die ihre Beine massiert, »sinkt hier draußen alles tropfend zusammen. Es gibt ein Restgold in den Bäumen, Kraut, Blätter, Rot, Rost. Mir gefällt’s.«
Wo die Bäume schon kahl sind, tritt ein silbriges Licht aus, erinnert sich Frau Wäns. Wenn man es hören könnte, wäre es ein Klimpern. Die Tropfen halten still, damit sich der Glanz für Sekunden ausbreiten kann. Unter dem feierlichen Ein- und Ausatmen findet ein unterdrücktes Toben statt. An anderen Tagen ist es ruppig, struppig, wild und wüst. Die Landschaft will schreien, aber der Schrei dringt ihr nicht aus der Kehle. Sie hört ihr Keuchen und möchte am liebsten den Himmel mit verstellter Kinderstimme fragen: Werden demnächst denn wirklich die Menschen Tierembryonen austragen und umgekehrt?
»Elsa, glauben Sie mir: Das Gras zieht golden um die Stämme herum. Die Ponys stehen still wie Tische, aber voller Gefühl, auf ihrer Weide am Zaun.«
(Genauso standen früher, vor dem Eiszeitvorhaben, mein Mirko und ich ohne uns zu rühren beieinander und sahen ihnen und den Gräsern zu. Dann und wann wird ein altes Pferd mit einer Decke auf dem Rücken durch den Wald geführt, durch das Verfallene, Verwitterte, Verweste, vorbei an den morastigen Pilzresten, an den vergessenen Baumstämmen, die an den Rändernder landwirtschaftlichen Zufahrtswege liegen und sich zersetzen. Schon um 15 Uhr schleicht die braune Stunde heran.)
»Nur durch einen scharfen Gegenwind, Frau Elsa, und eine Person in knallrotem Anorak merkt man, daß man nicht träumt, nicht in Wirklichkeit durch einen Traum marschiert.«
»Marschiert?« fragt Elsa zurück, die sich wundert, daß Frau Wäns so mitteilsam und ungewohnt elegisch ist. Auch das muß eine Folge des Überfalls sein.
»Eines Tages sind die Überflutungen vereist. Die zerbrochenen Birken- und Kiefernstämme ragen aus den Flächen. Das gefrorene Wasser hat sie begradigt. An den Weihern und Teichen, Frau Elsa, steht das Schilfröhricht, es sieht wie das geisterhafte Haar zu alter Frauen aus. Ab und zu auch wie ein
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