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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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sich, um ihr heftig beschleunigtes Herzklopfen herum, tot. Obschon es doch das Signal kurz / kurz kurz / kurz kurz kurz ist. In diesem Zustand darf sie sich niemandem zeigen, versteht sich, keine Ausnahme. »Dushanbe«, murmelt sie. Sie stammelt: »Khorogh, Murghab« und kann machen, was sie will, völlig unbeaufsichtigt. Sogar umbringen könnte sie sich in dieser ungerührten Umgebung. Nach einer Stunde wabert sie sehr und hat doch nur ein unschuldiges Gläschen, ein Bierchen, getrunken. »Gut, daß ich wenigstens ins Bett gewatet bin«, nuschelt sie etwas bang vor so viel Freiheit und Zügellosigkeit ins lauwarme Kissen. Tut das gut! Aber gibt es denn kein Verbot, nicht irgendein noch so bescheidenes, zum Festhalten? Begeht sie nicht einen klitzekleinen Verstoß gegen dies oder das? Wirklich alles egal? Etwas überschwemmt sie in der totenstillen Wohnung, was sie zu ängstigen beginnt. Wie soll sie sich wehren gegen das Fluten, Wegfluten bis zum Schwachsinn, gedehnt ins Unendliche? Verführerische Aufweichung, allergefährlichste Medizin in der Einsamkeit.
    Das Telefon ruft. Läßt sie sich darauf ein? Warum denn nicht, die Leute sehen sie doch nicht!
    Ein Institut? Jawohl, ein Befragungsinstitut. Man verlangt mit quäkender Stimme Auskunft von ihr zur Person. Eine Umfrage, streng vertrauliches Persönlichkeitsprofil. Ihre Größe bitte? »Einhundertsiebzig Zentimeter.« Ihr Gewicht? »Fünfundfünfzig Kilo.« Was verbinden Sie mit dem Begriff DDR? »Grillen und Spionieren.« Sie ist überrascht von ihrer Geistesgegenwart, sitzt nun auch aufrecht und angelt nach den Schuhen. Die Fragen, ein Segen, sind schwärzester Kaffee für ihren Geist.
    Sie wundert sich aber ein bißchen. Wieso ist sie nicht mehr nackt? Beim Sprechen hat sie versehentlich die noble Frotteejacke angezogen, ein Geschenk, das sie widerwillig von einer guten Tante angenommen hat. »Todschick«, sagt sie überrascht vor dem Spiegel. Wie bitte? Die zentrale Frage laute, noch einmal, was für sie besonders tragisch sei. Man bitte um eine schnelle und auch nur einzige Antwort hierzu, mit anderen Worten: Was sie als das Allertraurigste empfinde?
    Das Allertraurigste? Sie beginnt sich zu freuen. Man erbittet tatsächlich eine Auskunft von ihr über die düsterste Angelegenheit ihres Lebens? Sie reckt sich, hebt das Kinn. Ob sie tatsächlich die Wahrheit ausplaudern soll? Vielleicht legen die dann gleich auf. Sie denkt scharf nach, riskiert es: »Der Weltuntergang.« Nun wartet sie, ob man ihr das Wort abschneidet. Nein. »Die größte Tragik besteht darin, daß man das schnelle Ende der Erde nicht aufhalten kann. Es ist entschieden, es dauert nicht mehr lange. Die Apokalypse nähert sich völlig zu Recht von allen Seiten. Vermutlich metallisch. Um was es mir einzig leid tut, das ist das Verschwinden der Klammeraffen mit ihrem Ganovengang und das Verstummen des Gesangs der Tenöre, der Sopranistinnen, der Bässe.«
    »Interessant«, lautet die Antwort. Es hat sie tatsächlich niemand unterbrochen. Ihre Laune steigt, ihre Stimme wird fester. Hältman sie für eine verrückte oder gewichtige Persönlichkeit? Tadellose Streckung der Wirbelsäule. Sie überprüft es im Spiegel. Fast schade, daß man sie nicht sieht. Man nimmt sie offenbar ernst, und es ist ein Gefühl, als würde sie jemand im Nacken kraulen.
    Nächste Frage: Die zwei größten Irrtümer ihres Lebens? Auch ein folgenreiches Verhören, eine verhängnisvolle Augentäuschung, irgendein Mißverständnis, an das sie sich noch immer erinnere, all das werde man hier unter Umständen gelten lassen und beide Augen zudrücken. Wichtig sei das Spontane, kein langes Nachdenken bitte. Es verfälsche das Ergebnis der Untersuchung.
    Daß man ausgerechnet sie für den Unsinn ausgewählt hat! Zählt sie denn? Ist sie, Eva Wilkens, etwa dermaßen repräsentativ? Und wie recht ihr das auf einmal ist, wie ihr das gefällt und schmeichelt. Ein aufgescheuchter Nachtschmetterling flattert durch den Raum, die Flügel wie von einer Rinde abgeblättert. Auf die Wellen des Vorhangs wirft er übertrieben nervöse Schatten. »Aha, der Bekannte von eben«, sagt sie und würde ihn am liebsten sofort mit Glas und festem Papier aus seiner Panik retten. Der Bekannte? Man bitte um Erläuterung, so die Stimme, plötzlich befremdet und streng. Welcher Bekannte bitte?
    »Meine größten und dümmsten zwei Irrtümer sind folgende. Sie wiederholen sich seit meiner Kindheit bis auf den heutigen Tag. In einem Konzert schreibe ich

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