Gewäsch und Gewimmel - Roman
leichter für ihn zu vertonen wäre als »Das Meer und die Lerche« des Engländers?
In Brüssel, wo er die Rückfahrt unterbricht, bleibt er lange vor einer schmutzigen Fensterscheibe ganz in der Nähe des Rathauses und der Touristenumzüge stehen. Er sieht in eine kleine Gaststätte, die in Staub und Düsternis liegt. Hier brennt keine Fackel verheißungsvoll aus dem Dunkel des Inneren wie in allen übrigen Restaurants. Die Tische sind gedeckt, aber seit Jahren in Schlaf versetzt. Alles liegt in vergilbter, verwunschener Reglosigkeit. Auch Hannes Keller rührt sich, wie angesteckt von dem Zauber, nicht vom Fleck.
In seinem Rücken und in allen Straßen dagegen auf riesigen Plakaten die jungen Frauen in geblümten Sommerfähnchen. Die Kleider bedecken kaum den Schenkelansatz. Genauso hat er die Reklame in den großen Städten Deutschlands gesehen, ein Gestöber von Blüten, das den vergilbten Spätwinter, nein, den noch grauen Frühling durchfegt.
Und was fällt ihm dann, bei einem Spaziergang an der deutsch-niederländischen Grenze – er weiß gar nicht, ob er hier oder dort ist – in den Schoß? Ein Terzett, eine Kammermusik, ein betörend ungestörter Zusammenklang, den er sich, ganz für sich allein, einmal gestatten will: Drei tiefschwarze Rinder stehen glänzend gelockt beieinander und reißen wie Träumer, wie Schlafwandler, auch wie Fließbandarbeiter und mechanische Naturkräfte Heu aus einem Futterballen. Keller hört die Zeit rascheln in ihren Mäulern. Er schließt die Augen und lauscht den Geräuschen, dem knisternden Klang.
Das passierte an einem Montag, am frühen Abend, und der Komponist stand, ohne es zu bemerken, mit seinen leichten Reiseschuhen in Matsch und Mist.
Ihm fiel dann aber ein, daß er einmal zufällig, durch das malerischbäuerliche Gehöft verführt, in einen leeren Schafstall geraten war, mit einem wunderschönen Kalb darinnen. »Unsere Eva«, sagte ein junger Mann, der hinzutrat, »extra gezüchtet für unsere Versuche.«
»Wird man ihr Schmerzen zufügen?« fragte Keller.
»Das ist unvermeidlich. Warum? Damit Sie, lieber Mann, ein bißchen weniger leiden im Zweifelsfall. Wir müssen an kompletten Organismen forschen. Unseren Tieren geht es gut. Passen Sie auf. Ich hole die Versuchsschafe von der Weide!« Der Mann ging zu einem Gatter und öffnete es. Schon rannten die dort wartenden Schafe los, stürmten, ohne nach rechts und links zu sehen, in den Stall und stürzten sich auf das dort ausgebreitete frische Heu. »Was sagen Sie nun? Ist das etwa kein Glück?«
Hätte ich nicht die Musik, dachte Keller im Weggehen, würde es mir wohl nicht gefallen auf der Welt.
Rätsel
In welchem Frühlingsgedicht aus 17 Vierzeilern kommt sechsmal das Wort »bitter« und nur zweimal das Wort »süß« vor?
Hilfe: Es ist eins der Lieblingsgedichte von Clemens Dillburg.
Rätsel
Manche beschreiben den Duft des Mädesüß als berauschend, beispielsweise der Schriftsteller Arthur Machen (Sohn eines Geistlichen aus Caerleon-in-Usk in Monmouthshire, Wales). Andere nennen ihn »unangenehm süßlich«, beispielsweise Christopher Lloyd in einem Buch über seinen Garten Great Dixter (East Sussex).
Welches Mädesüß aber ist gemeint? Das Echte Mädesüß (Filipendula ulmaria), das Rosige Mädesüß (F. rubra »Venusta«), das Japanische Mädesüß (F. purpurea), das Kleine Mädesüß (F. vulgaris)? Oder betrifft es alle?
Hilfe: Katjas Botanikstudent müßte es wissen.
Gedankensträuße
Irenenstraße. »Emily«, ruft Frau Fendel. »Emily, meine kleine Emily.« Sie freut sich, wie die industriellen Tulpen aus dem Blumenkettenladen, noch knirschend vor Frische, wenn sie sich aneinanderreiben, in ihrer Wohnung immer persönlicher aufblühen. »Wie meine allgemeinen Altersmaleste«, erzählt sie dem Tier, »ein ganzer Strauß davon erblüht, mit jedem Tag eine neue Knospe am eigenen Leib. Wo sind sie nur hin, die Zeiten, wo ich in Gesellschaft mit extra gedankenverlorenem Gesicht eine Vorliebe äußerte, für einen bestimmten Wein, für Wildorchideen zum Beispiel, und sicher sein konnte, daß man sie mir demnächst ins Haus bringen würde!«
Sie lacht leise: »Aber warum trauern, weil die Tage vergehen? Schließlich lauere ich doch an jedem Monatsende darauf, daß ich endlich das Kalenderblatt umwenden kann.«
Seit einigen Monaten hat sie ihre Katze umbenannt. Der Katze gefällt der Name. Emily dreht, falls sie Lust hat, sofort die Ohren, wenn Frau Fendel »Emily« ruft und also beweist, daß sie
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