Gewäsch und Gewimmel - Roman
den Duft der parfümierten Zuhörer in der Nähe immer den fernen Sängern auf der Bühne zu. Das heißt, halten Sie sich fest, ich rieche die Musik, Ambra, Hölzer, Jasmin, Magnolien. Jedesmal täusche ich mich wider besseres Wissen. Zweitens: Nehmen Sie eine sternklare Sommernacht im Garten. Es riecht nach irgendwas. Aber ich glaube ganz unbelehrbar, daß es die Ausdünstungen großer Sterne hoch über mir sind.«
Donnerwetter! Okayokay, kein Problem! Nun noch rasch drei Beispiele für komische Erlebnisse. Kein kompliziertes Formulieren,bitte. Bitte unverzüglich das, was ihr auf der Stelle in den Sinn komme.
Vorhin wäre ihr wohl kaum gelungen, was sie jetzt, schon hochprozentig aus eigener Kraft profiliert, ohne Umstände aufzählen kann. »In Dushanbe, wo die Männer speziell durch tolle Nasen imponieren, habe ich einen jungen Tadschiken gesehen, dem seine aber völlig fehlte. Eine Straße weiter entdeckte ich den, der sie ihm geraubt hat. Der alte Mann trug auf dem Nasenrücken einen Auswuchs, der in Form und Größe genau in das Gesicht des ersten paßte.« Sie ist nun wirklich in Fahrt und hört auf einmal den Frager atmen.
»Im Ostberliner Tierpark habe ich den Toilettenwärter auf seinem Küchenstuhl neben dem Tisch mit weißem Deckchen und Geldschale beim Telefonieren belauscht. ›Alles tote Hose‹, brüllte der Kerl in sein Liliputgerät, ›schon seit heute morgen geht hier keine Sau aufs Klo. Und du hast sie statt dessen bei dir in Schlangen stehen? Was läuft da aus dem Ruder? Was läuft hier falsch?‹«
Der Frager hustet. Sie ist nicht zu bremsen.
»Nummer drei: Gestern habe ich von meinem gepachteten Gärtchen aus beobachtet, wie fünf schwarzgekleidete Männer, zwei vorn, drei hinten, auf einer Karre mit Gummirädern ein Hyclo-Häuschen, so ein mobiles Klo für Bauarbeiter, äußerst vorsichtig in einen Hof bugsierten. Und was höre ich im selben Moment zur Begleitung? Von der nahen Kirche das Totenglöckchen, hahaha, das Totenglöckchen! Hm? Geht das wohl? Nehmen Sie das?«
»Soso«, meint die quäkende Stimme, »sieh an! Wir danken für die freimütigen Antworten. Eine letzte Frage: Wie groß sind Sie?«
»Inzwischen mindestens einseinundsiebzig!« schmettert sie frech zurück. Fühlt sich die von der Außenwelt derart Wichtiggenommene nicht panzerstark, kerzengerade und wunderbar? Jetzt, ja jetzt bereut sie, vorhin nicht geöffnet zu haben. Aber esdauert kaum eine Viertelstunde und, horch, da ist er wieder, der Klingelton: kurz / kurz kurz / kurz kurz kurz! Sie rennt, sie ruft, nein, jauchzt: »Der Nikolaus!« Keine Bange, in diesem einen, einzigen Fall darf sie trotz ihres Aufzugs die Türe öffnen.
Da steht er, hält sich etwas im Dunkeln. »Klaus!« sagt sie leise, wird auch sehr blaß. »Falsch«, antwortet der Mann mit quäkend verstellter Stimme. Er lächelt, nicht ohne unergründliche Zartheit, ihre frisch zerschrammten Knie unterhalb der Frotteejacke an. »Ich bin’s, ich« – und als sie es hört, horch, will ihr endlich schluchzend vor Freude das Herz im Leibe zerspringen – »der Weltuntergang!«
Einerseits und andererseits
Oostende. Hannes, gelegentlich auch Hans Keller, der in seiner Musik so gern mit Kontrasten arbeitet, ist wieder eingeladen worden. Es handelt sich um die Aufführung eines von ihm komponierten Kammerkonzerts und ist dasselbe, das man auch in Lemberg in seiner Gegenwart gespielt hat, dort wie hier vor schütterem, aber herzlichem Publikum.
Nun marschiert er auf dem Seedeich ein Stück Richtung Süden. Eins muß er sagen: Das Meer ist gewaltig, aber gewaltig ist auch die offengelegte Maschinerie der Kabel und Rohre, die normalerweise unter den gelben Platten des Deichs verborgen sind. Gewaltig das Stählerne und Steinerne gegen das viele Flüssige. Aufgewühlter Boden überall. Sollen die alten Schlachtfelder nachgeahmt werden? In einer Kirche überträgt man, vermutlich rund um die Uhr, zu einer Art frommem Slow Fox als Diashow die Kreuzwegstationen. Rechts im Ohr hat er die Nordseebrandung, laut Hopkins »mit Schwall oder Fall, leis lullend hin oder all ein Brüllen«, links im Ohr aber kein Lerchenlied, das klänge wie »Kräusellocken von wilder Haspel wirbelnd«. Dafür sehen links die Augen Gelocktes, das sich wälzt und räkelt auf dem Balkon einer der letzten alten Jahrhundertwendevillen. Es sindzwei dicke, fast nackte und offenbar betrunkene Frauen. Das Meer übertönt ihren grölenden Gesang.
Ob das hier, falls es ein Gedicht dazu gäbe,
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