Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
aus Neugier, vor allem aus Kummer und Trotz in Dushanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, gelebt hat, im knochentrockenen Sommer, stieg dort in der Sonne das Thermometer auf 48 Grad. Dushanbe, die Stadt mit den unsinnig vielen Verkehrspolizisten auf gemustert gepflasterten und löchrigen Straßen, die Stadt mit den Massen aufgehäufter kleingeschnittener Möhren auf den Basartischen. In der Nähe waren russische, amerikanische und französische Truppen stationiert. Dort hat sie das Draußensein viel weniger angestrengt, nein, überhaupt nicht, im Gegenteil.
    Sogar die erhoffte, hm, Vergeßlichkeit, hm hm, stellte sich ein.
    Sie ist mit fünf Fremden an den Flüssen entlang in die roten, grünen, braunen Berge gefahren. Das war leicht, auch wenn sie manchmal lange warten mußten wegen der Sperren für chinesische Straßenarbeiter. Alles kam darauf an, ob es gerade Strom gab, selbst die Öffnungszeit der kirgisischen Botschaft hing davon ab. Nicht anders in Khorogh, nahe den Vier- und Fünftausendern des Pamirgebirges. Ein Ort, der kaum mehr als eine große Straße hat, von der, alle mit demselben Namen, wie dünne Zweige die Seitenstraßen wegführen. Aber überall blühten Malven, Lilien, Rosen. Es gab einen Grenzübergang nach Afghanistan. Die Männer trugen erwartbar bunt bestickte Mützen, die wunderschönen Mädchen Perlen in tausend Zöpfen. Sie fand schließlich sogar ein Internetcafé. Auch im sehr hochgelegenen Murghab, ebenfalls in Zentralasien, lebte es sich mühelos, wenn man keine großen Ansprüche stellte.
    Hier ist es anders. Hier, seitdem sie zurück ist, muß sie tief Luft holen, bevor sie sich, nicht gerade ins Verderben, aber dochins Leben stürzt. Sie meint das normale Verkehrswesen um den kasinoartig glitzernden Riesenbahnhof herum, wo es ständig rechtsrum, linksrum geht, rauf, runter, kein störendes Stehenbleiben bitte. Man ist stolz, wenn man keinen Anstoß erregt, wenn es gelingt, metallisch grau mitzugleiten ohne Rempelei, als wäre überhaupt nichts Besonderes dabei und alles jahrzehntelange Gewohnheit, ohne Schwanken, ohne Taumeln, absolviert wie nichts. Blöde Herumtapper aus der Provinz fallen sofort ins Auge, auch den Dieben beim Erwählen ihrer Opfer. Denen natürlich als das Unwiderstehliche schlechthin. Das heißt, wer bestohlen wird, verrät, daß er zu den Stotterern und Stolperern und also nicht hierher gehört, es sei denn, als Kontrast.
    Trotzdem, keine Angst! Wenn sie sich von ihrem bißchen Unterrichten nach erbärmlichem Stundenlohn durch die Stadt nach Hause bewegt, hält man sie für ein schuppiges Schwarmteilchen im Wasser. Sie kriegt das eine Weile tadellos hin. Schließlich weiß keiner, wie sehr sie sich dabei zusammenreißt, während sie das routinierte Fischchen unter Tausenden von seinesgleichen mimt.
    Nur hegt sie den Verdacht, je länger sie sich im offiziellen Dasein außerhalb ihrer vier gemieteten Wände aufhält, desto kompletter an den städtischen Gegenständen hängenzubleiben. Hier ein Stückchen an der Fließreklame, dort ein Fetzchen am Bankomaten. Zum Schluß ist das meiste von ihr lautlos flötengegangen. Sie hat keine Ahnung, was da, ursprünglich auf ihren Namen getauft, um letzte Contenance kämpfend ins Zimmer trudelt. Macht aber nichts. Jetzt sind die undurchsichtigen Wände um sie herum. Sie kann ausufern, das Zeug von sich runterzerren und fallen lassen, kann sich zu scheußlichen Fratzen die Haare raufen, heulen, irgendwas auf dem Küchentisch verschmieren und ablecken, nackt, aber mit einem da draußen noch so eben tolerierten Käppchen auf dem Kopf ältliche Blumenbegießen. »Wüste Wonnen der Verwahrlosung«, knurrt sie, womöglich nach einem Glas Bier, vor sich hin.
    Systematisch entgleitet sie ihrer Außenansicht. Die Fassung hatte sie schon verloren, als sie kurz vor der Haustür mit beiden Knien auf die Straßenbahnschienen gestürzt ist. Konnte es wohl nicht abwarten, sich in Sicherheit zu bringen? Sie entgleist, um sich, hofft sie schon ein bißchen benebelt, allmählich wieder in der Verborgenheit rundlich zusammenzusetzen. Ein Schatten huscht innen am früh zugezogenen Vorhang entlang. Er muß von einem flatternden Tier herrühren, ein Wesen, mindestens so groß wie ein Spatz. Oder ist es der nachhinkende Schatten der in hohem Bogen weggefeuerten Schuhe? Gilt ein Spatz in ihrem Schlafzimmer als Tier oder bloß als Vogel? Sie ist zu träge, sich prüfend nach dem Original umzudrehen.
    Horch! Jemand klingelt an der Tür. Sie stellt

Weitere Kostenlose Bücher